Am 27.02.24 um 10:00 schrieb Ingo Tessmann über PhilWeb:
Moin Karl,
mit „grundsätzlich beenden“ kann ich doch nicht „sogleich abstellen“
gemeint haben, sondern die Entscheidung für einen
Transformationsbeginn vom Individual- zum Gemeinschaftsverkehr. Und
die 13% Dorfbewohner könnten problemlos bei ihren Kleinwagen bleiben
können. Warum immer wieder diese schwarz/weiß-Malerei?
Im Juli 2023 hatte ich geschrieben: „Zum Populismus gehören das
Personalisieren, Emotionalisieren und Simplifizieren. Wo ich wohne
oder was Du für ein Auto fährst ist für die Gesellschaftspolitik
irrelevant. Was nicht alles schon für ein populistischer Schwachsinn
verbreitet wurde! Der dient noch nur zur Ablenkung und Verzögerung,
damit die Profiteure des status quo weiterhin von ihren Privilegien
zehren können.
Gegenwärtig leben in der BRD nur noch rund 13 % auf dem Land in
Dörfern mit weniger als 5000 Einwohnern. Unter ihnen sind die
sich selbst versorgenden Hofgemeinschaften natürlich die Ausnahme.
Hochtechnisiert weitgehend autarke Ökodörfer scheinen mir
gleichwohl ein sinnvoller Weg in die Ökogesellschaft, denen die Städte
dann folgen könnten. Für Hamburg bspw. reichte schon ein Umkreis von
100 km zur Selbsternäherung (Sarah Joseph: CAN REGIONAL, ORGANIC
AGRICULTURE FEED THE REGIONAL COMMUNITY? A Case Study for Hamburg and
North Germany).
Rund 87% der Menschen in der BRD könnten also auf ihr Auto verzichten;
wenn es denn mehrheitlich gewollt würde. Und selbstredend sollte mit
autofreien Städten begonnen werden; denn die 13% Landfahrenden wären
problemlos tolerierbar. Aber wie das Beispiel Bremen gezeigt hat,
werden bereits die zaghaftesten Versuche, weniger Innenstadtverkehr zu
erreichen, von den vielen Autonarren verhindert.“
Unser Aneinandervorbeischreiben und die Wiederholungen scheinen wir
nicht beenden zu können. Warum sollten wir uns weiter austauschen?
Wir schreiben nicht aneinander vorbei, sondern gegeneinander. Dieses
jedoch nicht bezogen auf unsere offensichtlich gemeinsame Sorge
hinsichtlich der Klimaproblematik, sondern weil wir beide eine
tiefgreifend unterschiedliche Weltsicht haben und diese längst nicht nur
auf die Dir missliebige Metaphysik bezogen.
Du wertest Dich als Konstruktivist und „Possibilist“. Das erscheint mir
in dieser Kombination tatsächlich als fragwürdiges, weil
widersprüchliches Konstrukt, da sich beide Denkrichtungen eigentlich
entgegen stehen: Während der Konstruktivist dem Menschen grundsätzlich
das Vermögen abspricht, die Lebensrealität (an sich) zu erkennen, damit
potentiell nicht zu deren konstruktiver Gestaltung befähigt wäre, steht
der Possibilist für das Gegenteil, nämlich für eine zukunftsweisende
Vision individueller Lebensgestaltung und damit auch jener der
Gesellschaft, vor allem aber für die Möglichkeit, Missstände zu beseitigen.
Letztere Motivation kann aber nicht gesellshaftsübergreifend wirken,
wenn man in diesem Zusammenhang einerseits mit Begriffen wie Populismus
und Simplifizierung abwertend argumentiert, andererseits geradewegs mit
simplifizierenden, unrealistischen - nicht minder populistischen, wie
auch emotionalisierenden - Postulaten und dem implizit darin verborgenen
Appel aufwartet, wie eben hier, dass 87% der Bevölkerung dieses Landes
schon heute auf ihr Auto verzichten könnten.
Das ist schlichtweg realitätsferner Intellektualismus, der exakt dem
Prinzip von „actio = reactio“ folgend, diese abstrusen Ausformungen
eines Antiintellektualismus provoziert, die man nun verstärkt in Teilen
der Bevölkerung erkennen kann. Das wird auch - wie schon erwähnt - noch
dadurch gefördert, dass gerade von der Grün-Partei der polarisierende
Impetus gesetzt wird,jede nicht politisch links gegrichtete Einstellung
sei selbstverständlich rechts überdies nicht nur nicht einfach rechts,
sondern eben faschistoid.
Natürlich ist Deine oben getroffene Fesstellung eine Option,
vornehmlich, wenn man davon ausgeht, dass benanntes
Bevölkerunsverhältnis den Löwenanteil der Gesellschaft abbildet und
dieser - wie prognostiziert - in urbanen Bereichen angesiedelt sein wird.
Diese Perspektive ist als konkrete Chance zu sehen, dass sich innerhalb
weniger Jahrzehnte der Individualverkehr vom privaten Kraftfahrzeug auf
andere Verkehsmittel verlagert und dieser Wandel ebenso zwingend wie
unumkehrbar sein wird .
So richtig weiß ich nicht, in welchem Kontext Du mir die Frage stellst:
„Warum immer wieder diese schwarz/weiß-Malerei?“, daher möchte ich Dich
fragen, ob Deine defätistische Attitüde in Anbetracht der Annahme eines
bedrohlichen, alles beherrschenden fossilen Imperiums und dem daraus
resultierenden „Auto- und Fossilwahn“, sowie das Heraufbeschwören einer
„beginnenden Katastrophe“ etwas anderes als „Schwarzmalerei“ ist?
In diese Richtung geht doch auch die emotionalisierende Darstellung von
einer Energie- und Ressourcenverschwendung durch die vielen Tieresser.
Du gehörst also auch in die Fraktion derer, die den Menschen die Wahl
ihrer Ernährung vorsorglich abnehmen wollen und im selben Atemzug ein
Diktat zu fleischloser Ernährung erheben. Ich selbst esse sehr wenig
Fleisch, was mir durchaus gut bekommt. Letzteres würde der Masse der
Bevölkerung auch gut tun, wie auch den Finanztöpfen der
Krankenversicherer und -kassen.
Deshalb aber „militante Bauern- vs friedfertige Klebedemos“, in einen
fragwürdigen Zusammenhang zu stellen, zeugt von einer frappanten
Einseitigkeit, die insbesondere mit der intendierten Vermittlungsidee
des Possibilismus wahrlich nichts mehr gemein hat, sondern einzig mit
populistischer Polarisation!
„Wenn Argumente fehlen, kommt es zu Polemik und Gewalt“, wie zutreffend
doch diese Aussage ist und gerade deshalb sollten wir uns - vor allem
aber auch die politisch intellektuelle Kaste - diesem Phraseologismus
ertnhalten, um nicht noch jenen Phantasten Argumente zu liefern, die mit
faschistoiden Ideen kokettieren.
„Der Mensch ist zu sehr mit der Beschreibung seiner Fehler beschäftigt,
als er sich derweilen um deren Abstellung kümmern sollte“.
Ich kann es nicht mehr erinnern, wo ich diesen Ausspruch gelesen habe,
so ist er sinngemäß wiedergegeben. Seine Aussagekraft mindert das nicht!
Im Kern, d.h. in unserer Besorgnis um das Wohl von Mensch, Natur und
Umwelt, sind wir uns hoffentlich einig, gleichwohl wir uns - wie gesagt
- weltanschaulich in jeweils anderen Welten (sic!) befinden, was
selbstredend unsere Diktion, den sprachlichen Ausdruck prägt. Doch
deshalb unseren Diskurs hier einzustellen, wäre kontraproduktiv und
damit wahrlich auch nicht im Interesse eines Possibilisten.
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl