Dieser Tage ist es wieder einmal (im Verlauf des Auf und Ab des
Weltgeschehens) besonders schwer dort Halt zu geben, wo man diesen bei
Menschen im engeren Umfeld schwinden sieht; dies umso mehr, als einem
selbst bisweilen droht, in‘s Schwanken zu geraten.
Dieses geradezu noch angefeuert von Waldemars deprimierenden Beitrag,
obwohl ich doch nahezu an seine generell fatalistische, apokalyptische
Sicht auf die Welt gewöhnt bin:
wh: „so sehr ich auch deiner einstellung zum menschen sehr gerne
beipflichten würde, ich kanns nicht, in anbetracht des zustandes der
welt und des menschlichen in ihr, kann ichs nicht !“
Nach Lage der Dinge ist alles von Waldemar beschriebene, von Menschen in
die Welt gebrachte Unheil leider zutreffend und zutiefst niederdrückend.
Und konstitutiv gilt auch immer wieder dieses „Homo homini lupus“. Wenn
er jedoch den Menschen als „katastrophale evolutionäre fehlentwicklung“
sieht, steht das seiner (an anderer Stelle beschriebenen) Faszination
für die Evolution, quasi als einen genial einzigartigen Mechanismus zur
(Fort-)Entwicklung allen Lebens entgegen.
Betrachtet man Evolution hinsichtlich Volatilität und Optimierung durch
Selektion, würde sich für den Menschen (angesichts seiner - bisweilen
wirklich unheilvollen - Unzulänglichkeit) die Frage ergeben, ob er sich
selbst tatsächlich als „Krone der Schöpfung“ sehen kann. „Keinesfalls!“
wird Waldemar sagen und könnte dabei übersehen, dass der Mensch (als
Homo sapiens an sich) das Potential zu weiterer Entwicklung hat; dabei
geht es nicht nur um eine (aus dem „Human Genome Project“ zu folgernde)
Fortentwicklung aus biologisch-körperlicher Sicht, sondern (aus meiner
mir typischen Sicht auf Mensch und Kosmos) um eine ständige
Fortentwicklung im Sinne einer „geistig-seelischen“ Aufbesserung.
Natürlich ist das kein in absehbarer Zeit zu erwartendes „Unterfangen“
und es ist auch keine „rasche“ Abhilfe durch postulierte
Endzeit-Phantasien oder „big reset“ zu erwarten. Eher trifft zu, was ich
vor etwa einem Jahr hier schrieb:
Nicht angetan kann und sollte man sein, zieht man den augenblicklichen
Entwicklungsgrad der Menschheit in Betracht, der dem von Kleinkindern im
Laufstall entspricht. Ein für mich bedeutsames Bild, da es mir
grundsätzliche Antworten aufzeigt hinsichtlich Determination (Zufall und
Notwendigkeit) und konnotativ auf Fragen nach den dem Menschen
verfügbaren „Spielräumen“, also Freiheitsgrade hinsichtlich Bewusstsein,
Willensfreiheit und daraus resultierenden Zuschreibungen von
Verantwortung für menschlich-gesellschaftliches Handeln in jeweiligen
Kultur-, Wirtschafts- und Naturräumen.
Es ging hier zuletzt auch wieder um (m)eine deterministsich angelegte
Weltsicht und man ist natürlich da und dort so konditioniert,
Determinismus reflexartig mit Metaphysik in Verbindung zu bringen. Von
derartig verkürzten Zuschreibungen abgesehen, stellt sich zweifelsfrei
die Frage, ob der Mensch in seiner Beschaffenheit (an sich) überhaupt
Verantwortung für sein Handeln hat; die Antwort darauf ist von namhaften
Neurowissenschaftlern derart gegeben, dass der Mensch keine
Willensfreiheit habe und man somit die Frage nach seiner
Handlungsverantwortlichkeit offen lässt.
Wäre demnach fehlende Willensfreiheit Ursache für diesbezügliches
Unvermögen des Menschen, verantwortlich mit seiner Lebenswelt umzugehen,
würde er somit tatsächlich eine (nicht von ihm zu verantwortende!)
„katastrophale Fehlkonstruktion“ sein?
Welchem „Konstrukteur“ wollte man das in diesem Falle klagen?
Sollte man einen Gott anklagen, wo dieser in der Theodizee doch so
grandios verteidigt wurde oder bleibt letztlich nur das Hiob‘sche
Hineinfügen in ein (gottgegebenes) Schicksal? Hilft dieses zu ertragen,
das Lamento gegen die Klagemauer (der Juden), als eine
tiefenpsychologisch äußerst klug angelegte Möglichkeit der
„Neutralisierung“ unheilvoller Schickung?
Handelt es sich angesichts des überwältigenden Übels in der Welt
schlechthin um Schicksal, Fügung, Karma also letztlich um
unausweichliche Prädestination?
ja, zu Teilen, würde ich (in Anlehnung an Schelling) sagen; insoweit der
Mensch es mehrheitlich nicht vermag, mit dem Gegensatz (Widerspruch) von
Notwendigkeit und Freiheit, als diesem unausweichlich dunklen Grund
jeglicher Existenz, umzugehen.
Es ist das Unvermögen des Menschen, ein fortwährend sich aus (nicht nur)
dieser Gegensätzlichkeit heraus entwickelndes Chaos zu bewältigen.
Und damit ergibt sich die Frage, ob der Mensch überhaupt die
Möglichkeit, also die Freiheit hat, sein Leben, sein Umfeld und damit
auch die Welt konstruktiv zu gestalten, anstatt diese zu verunstalten.
Wir hatten hier über Freiheit (insbes. den sog. Freien Willen)
geschrieben und u.a. dabei die von Kant, Schopenhauer definierten
Wesenheiten des Menschen, als zum einen den empirischen Charakter
(Erfahrungswesen), zum anderen den intelligiblen Charakter
(geistig-seelisches Wesen) betrachtet.
Müßig und nahezu unmöglich, sich diesbezüglich an tausendfachem
Schriftgut zu orientieren. So bleibe ich bei Schelling und Hegel, wie
ich diese zum Thema Freiheit hier zuletzt zitiert hatte:
Freiheit ist im innersten Wesen des Menschen und somit nicht im
genetisch körperlich-empirischen, sondern im intelligiblen Charakter
angelegt.
In seinem innersten Wesen also liegt das Vermögen des Menschen - als ihm
verfügbare Freiheit - sich zwischen „gut“ und „böse“ zu entscheiden. Die
jeweils getroffene (oder auch: die zu treffende) Entscheidung ist jedoch
zu wesentlichen Teilen an die Notwendigkeiten, also die
Vorbestimmtheiten hinsichtlich seines empirischen Charakters, der
Disposition seiner Körperlichkeit und den Bedingtheiten des realen
Lebensumfelds gekoppelt. Insoweit handelt es sich hierbei nicht um
absolut verfügbare Ungebundenheit, sondern um eingeschränkte Freiheit,
die durch Bindung und notwendige Einsicht in die spezifisch vorliegende
Disposition in gewissem Umfang determiniert ist. Es ist also vielmehr
ein gegebener Freiraum als (unbegrenzte) Freiheit und letztere
allenfalls in charakteristisch angelegten Freiheitsgraden verfügbar;
aber immerhin ist es ein überlebenswichtiger Freiraum bzw. Spielraum.
Daher mein Beispiel vom Laufstall, dessen umgrenzter Raum als solches
dennoch dem Kleinkind das Gefühl von Freiheit – als eben einem
tatsächlich gewährtem Freiraum/Spielraum vermittelt.
So wie nun dem Kleinkind mit zunehmender Erfahrung und wachsender
konkreter Wahrnehmung seines Umfelds die im mögliche/notwendige
Erweiterung seiner Beschränkung bewusst wird, möchte man (im
übertragenen Sinn meines Beispiels) für die (mehrheitlich unentwickelte)
Menschheit unserer Epoche hoffen, dass ein Bewusstwerden bezüglich
unserer (durchaus auch selbst verschuldeten) Beschränkung einsetzt.
Um diesbezüglich noch einmal Schopenhauer zu zitieren: „An unserem Tun
erkennen wir, wer wir sind!“
Man kehrt im Verlauf des Lebens, gemäß der intrinsisch angelegten
charakterlichen Disposition, immer mehr zu sich selbst zurück;
gleichermaßen wächst die innere Freiheit mit der Einsicht in die
Notwendigkeit, sich also in die schicksalhafte Gegebenheit des Lebens zu
fügen (amor fati). Im Urgrund der innersten Natur liegt die Freiheit der
intelligiblen Wesenheit.
Aus dieser Freiheit heraus kann/muss jeder Mensch seiner Verantwortung
für die Welt nachkommen, wenngleich auch nur im Rahmen seiner
Möglichkeiten, also gemäß den ihm zugeschriebenen Freiheitsgraden. Es
gibt also noch Hoffnung, Waldemar!
Mit bestem Gruß in die Runde! - Karl