Bevor uns die Covid-Plage hier in philweb nun gänzlich die Lust am
Denken und Schreiben verleidet (oder - wie mir - die Gesundheit nimmt)
könnte man sich der Frage zuwenden: Was macht unsere Spezies so
vulnerabel, dass sie dieses Viren-Übel so schonungslos treffen kann, es
weltweit Gesundheit, Wirtschaft und Kultur zu Boden wirft ohne Rücksicht
auf Stellung, Amt und Würden.
Den sog. Corona-Leugnern möchte man die Sage erzählen, an die ich mich
nur sehr vage erinnere:
In einem herrschaftlichen Baderaum war des Königs Gattin der Gefahr
ausgesetzt, wegen Wasserüberlauf zu ertrinken, davor sie vom Bademeister
gewarnt wurde. „Als wer schreist du da?“, fragte die Noble herrschend
zurück, verweilte und ertrank schließlich. Fazit: Fühlt man sich über
Warnende erhaben, könnte man also in‘s Unglück geraten.
Wann immer man sich - berechtigt oder nicht - erhaben fühlt oder gibt,
sollte man sich die Frage stellen: Als welcher denke, fühle und handle
ich? Wer verkörpert denn dieses mein ICH? Wer bin ich überhaupt?
„Wer bin ich“ scheint eine ewige Frage zu sein. Um nun nicht in den
Verdacht zu geraten, damit einem populären wie omnipräsenten Medien- und
TV-Protagonisten in die Quere zu kommen, verweise ich sogleich auf einen
Spektrum-Beitrag (Wiss.Magazin), der mich wieder einmal an dieses Thema
herangeführt hat. Dabei ist es nicht so, dass mich diese Frage
selbstquälerisch umtreiben würde; da halte ich es eher mit Descartes‘
cogito. Erstaunlich jedoch für mich, dass sein vielgescholtener
Geist-Körper-Dualismus (interaktionistischer Substanzdualismus) immer
noch nicht in seiner eigentlich intendierten Tiefe verstanden sein will.
Seine Argumentation bzgl. der Art des denkenden Ichs wird zitiert mit
a) „ich kann mir nicht widerspruchsfrei vorstellen, dass ich nicht
existiere, solange ich denke“
b) „ich kann mir jedoch widerspruchsfrei vorstellen, dass ich auch ohne
alle körperlichen Eigenschaften existiere“
Ersteres Argument sollte, trotz seiner radikalen Reduzierung auf das
Denken, tatsächlich widerspruchsfrei gültig sein. Letzteres hingegen
kann Descartes nur in der Annahme einer möglichen „jenseitigen“ Existenz
getroffen haben (was als Jesuiten-Zögling auch nicht verwundern kann),
wie dies eben auch in den religiösen Vorstellungen verschiedenster
Kulturen geschieht. Das Argument wird dort jedoch als ungültig angesehen
werden, wo für eine (menschlich) erlebbare Existenz einzig die
hinreichend körperliche Funktionalität - durchaus in Interaktion mit
immateriellen Agenzien (Geist) – vorausgesetzt wird.
Grundsätzlich aber sollte eine eindeutige Unterscheidbarkeit (und damit
Dualität) zwischen pur materieller Körperlichkeit des Menschen und sog.
reinem Geist widerspruchsfrei anzunehmen sein.
Einerseits also der physische Körper (soweit unversehrt) als ureigenste
Voraussetzung für erlebbare Selbstbewusstheit (dem Ich); andererseits
reiner Geist, der an sich autonom existierend (wie und wo auch immer)
angenommen werden kann.
Descartes ging davon aus, dass Leib und Geist (Seele) grundlegend
verschiedene Substanzen sind, die funktional jedoch kausal (seiner
Ansicht nach in der Zirbeldrüse) interagieren. Soweit – so gut, was
spräche dagegen, außer der Annahme, dass Geist, eben als Homunkulus im
Gehirn des menschlichen Körpers, diesen solchermaßen als isolierte
immaterielle Substanz steuern sollte. Dennoch sollte man Descartes und
seinen Zeitgenossen diese Fehleinschätzung nicht geringschätzig
anrechnen, denn sie wird insoweit bis heute betrieben, als man nach wie
vor im Gehirn isoliert Geist resp. Bewusstsein zu lokalisieren sucht.
Davon ausgenommen ist sicher die metaphorische Darstellung eines
kortikalen Homunkulus in den Neurowissenschaften (Penfield).
Wie immer man auch Geist (oder Seele) an sich definieren wollte, es
bleibt anscheinend bislang einzig die (Aus-)Flucht in die Metaphysik,
ausgeformt durch Religionen, philosophische Konstrukte (Ontologischer
Dualismus) oder aber auch (bisweilen irrwitzige) Esoterik.
Kraft seines Denkens war Descartes von seiner irdischen Existenz
überzeugt; die Annahme, ohne Körperlichkeit (wo auch immer) existieren
zu können, konnte nur auf Glauben gegründet sein.
Glauben (müssen/sollen) ist nicht jedermanns Sache, wenngleich mir in
diesem Zusammenhang die Ausführungen des Thomas von Aquin (wie so oft)
sympathisch und daher eingängig sind. Seine Unterscheidung von Geist und
Materie basiert auf seiner Akt und Potenz-Lehre (wir haben hier vor
Jahren darüber geschrieben). Als da sind die „universalia ant rem“, die
ursächlich im Geist (Gottes) vorgebildet sind, solchermaßen als
„universalia in re“ in Realität (in den Dingen) sind und schließlich
„universale post rem“, die durch den Intellekt aus den Dingen
hergeleitet werden. Für Aquinus ist der intellectus possibilis (in
Anlehnung an Aristoteles) das grundsätzliche Vermögen, per Intellekt
(Verstand und Vernunft) die real möglichen Dinge der Lebenswelt zu
erkennen und in Bezug auf die Seele (Geist) per intellectus agens das
Erkannte zu verwirklichen (zufolge der menschlichen Befähigung zur
Abstraktion in Aktualität zu bringen).
Abstrakte Scholastik, möchte man sagen, die jedoch (in diesem Fall) von
prinzipiellem Verständnis der Zusammenhänge von Interaktion zwischen
Geist und Körper zeugt und vor allem als wohlwollende Abstraktheit den
oftmals dogmatisch festgezurrten Thesen und Theorien in Philosophie und
Neurowissenschaft entgegensteht, sowie Raum lässt für diesbezüglich
künftige weiterführende Erkenntnisse der Menschheit, die durch
interdisziplinäre Forschung zutage kommen werden.
Unbenommen der so interessanten wie lehrreichen historischen Annahmen,
Theorien etc., liegen uns gegenwärtige Denkmodelle näher, so
beispielsweise namhafte Vertreter des interaktionistischen Dualismus wie
Popper und Eccles. Sie führen ihre diesbezügliche Argumentation zur
Interaktion zwischen Geist und Körper (i.W. Gehirn) auf eine quasi
subatomare (und damit irgendwie auch virtuelle) Ebene.
Eccles Wechselwirkungstheorie und Poppers 3-Welten-Theorie beschreiben
die Interaktion als Prozesse zwischen allen Dingen, Körpern etc. der
physisch realen Lebenswelt (Poppers Welt1) und abstrakt geistigen
Elementen immaterieller Welten (Poppers Welt 2 und 3).
Bedeutsam bei diesen Denkansätzen (wobei mir die Theorien
beispielsweise von Burkhard Heim oder Alan Guth fundierter erscheinen)
ist für mich der Wechselwirkungsbegriff, insbesondere die Interaktion
zwischen (funktionalem) Körper und Geist, also zwischen materiellen und
immateriellen Substanzen/Entitäten. Voraussetzung hierzu ist die
Fähigkeit mit letzteren in wechselwirkende Resonanz zu treten. Dazu
bedarf es m.E. nicht notwendigerweise irgendwelcher religiös,
metaphysisch oder gar esoterisch beschriebener Mechanismen (obgleich
fallweise praktikabel), sondern der Kenntnis und Bewusstheit von
Feldtheorien. Wie der hochgeschätzte Feynman postulierte „Everything is
made of atoms“, möchte ich sagen, alles ist prozessoraler Teil von 12
Quantenfeldern (Materie) und 4 damit interagierenden Kraftfeldern
(Gravitation, Elektromagn,, starke u schwache Kernkraft) mittels deren
wechselwirkende Mechanismen jegliches Leben begonnen, geformt, bestimmt
und auf Zeit erhalten wird.
Wenn also Descartes einen Homunkulus in der Epiphysis cerebri am Werk
sah, würde ich heute den Bewusstseinsbegriff eher an den Thesen von
Hameroff und Penrose festmachen, wonach das Bewusstsein von biologisch
„orchestrierten“ kohärenten Quantenprozessen in Clustern von Mikrotubuli
in Gehirnneuronen abhängt und diese informationsverarbeitenden
Quantenprozesse mit der neuronalen synaptischen und Membranaktivität
(Resonanz!) korrelieren sowie diese regulieren. Diese „Denkprozesse“
laufen also nicht klassisch algorithmisch ab, sondern als
Quantenmechanismen. Gewissermaßen Biophysik des Bewusstseins, der
mittlerweile durch beobachtbare elektroenzephalographische („EEG“)
Korrelate des Bewusstseins eine Schlüsselrolle in der Lebensentwicklung
zugesprochen werden könnte. Daraus ließe sich schließen, dass das
Bewusstsein eine intrinsische Rolle im Universum spielt, dessen
unverbrüchlicher Teil der Mensch ist und dies durch fortwährende
Interaktion mit diesem verkörpert. Sein inneres Erleben vollzieht sich
durch aufeinanderfolgende multimodal integrierte Erfahrungen und führt
mit steigendem Komplexitätsgrad zu Bewusstsein als eine emergente
Eigenschaft des Gehirns.
René Descartes kommt jedenfalls das Verdienst zu, Grundlegendes zur
Wechselwirkungstheorie von Körper und Geist entwickelt zu haben. Das
Leib-Seele-Problem und damit die Frage „wer bin ich“ wird uns dennoch
weiterhin einige Zeit beschäftigen und ich hoffe auf lehrreiche Beiträge
hier in diesem Freundeskreis.
Bester Gruß in die Runde!
Karl