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Am 24.10.2022 um 05:22 schrieb Arnold Schiller über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Am 24.10.22 um 02:09 schrieb Karl Janssen über
PhilWeb:
Der Kontext Deiner Einlassung passt also nicht, Waldemar. Da solltest Du schon etwas
genauer von Hannah Arendt, der großen Dame der Philosophie (und nebenbei von Heidegger)
lesen.
Schmeiss doch denn Heidegger weg. Die gute Hannah ist tausendmal besser. Und mir ist
bewusst, das Heidegger auch in Hannah steckt, aber in ihrer gamzen Auffassung und ihrem
Sein ist sie tausendmal besser als Heidegger.
Da sollt ich nun mit Joseph „lachen“😊
Schon rein gefühlsmäßig war ich Hannah Arendt viel näher als Heidegger und wollte nie
verstehen, warum sie als junge Studentin in diesen verliebt sein konnte; bis heute kann
oder eher will ich es nicht.
Emotionen beiseite lassend, könnte man annehmen, dass Arendt zunächst wie viele andere
Studierende von Heideggers Art, Vorlesungen zu gestalten angetan war: Mehr ein
naturverbundener Schwarzwaldbauer mit den revolutionären Ideen einer am realen Leben
orientierten, als jener staubig-trockenen Philosophie, wie sie von blutleeren
Katheter-Akrobaten gelehrt wurde. Heideggers Bezug auf Husserl („zu den Sachen selbst“),
der auf die konkret erfahrende Lebenswelt der Menschen abhebt, die eben nicht vornehmlich
durch intellektuelle Ratio und Abstraktheit, sondern auf Empfindung (in offensichtlicher
Anlehnung an Schopenhauer), Mitgefühl mit Mensch, Tier und Natur, aber auch auf Instinkt
und Willenhaftigkeit, mag diese Faszination für seine sehr spezifische Art von Lehre
erklären.
Wer sich heute durch Heideggers „Sein und Zeit“ durchgekämpft hat, wird das Buch und damit
auch nicht dessen zentrale Aussagen wegwerfen, sondern diese einzuordnen versuchen, in
eine persönlich angelegte Gesellschaftskritik, denn Heideggers Philosophie war eben auch
diese. Das zeigt sich m.E. sehr deutlich an dem von mir kürzlich erwähnten Kapitel des
„man“ (man macht das so), also seiner Kritik an gesellschaftlicher Konformität, die einem
Gruppenzwang gleichkommt.
Ein Zitat aus seinem Werk soll verdeutlichen, was ich damit ausdrücken will:
„Früher wurde gezeigt, wie je schon in der nächsten Umwelt die öffentliche »Umwelt«
zuhanden und mitbesorgt ist. In der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, in der
Verwendung des Nachrichtenwesens ist jeder Andere wie der Andere. Dieses Miteinandersein
löst das eigene Dasein völlig in die Seinsart »der Anderen« auf, so zwar, daß die Anderen
in ihrer Unterschiedlichkeit und Ausdrücklichkeit noch nicht verschwinden. In dieser
Unauffälligkeit und Nichtfeststellbarkeit entfaltet das Man seine eigentliche Diktatur.
Wir genießen und vergnügen uns, wie man genießt; wir lesen, sehen und urteilen über
Literatur und Kunst, wie man sieht und urteilt; wir ziehen uns aber auch vom »großen
Haufen« zurück, wie man sich zurückzieht; wir finden »empörend«, was man empörend findet.
Das Man, das kein bestimmtes ist und das Alle, obzwar nicht als Summe, sind, schreibt die
Seinsart des Alltäglichen vor.“ (M. Heidegger, „Sein und Zeit“).
Exakt in diesem Sinne ist ja nahezu Mode geworden, Heideggers frühe Sympathie zum
Nationalsozialismus als Totschlagargument zu verwenden, um ihn hinsichtlich seiner
Kompetenz als Philosoph zu nichten. „Zu Nichten“ ist eine seiner seltsamen Wortschöpfungen
und überhaupt beschritt er sperrige „Holzwege“, denen man ohne eigenes tiefes Nachdenken
nicht zu folgen vermag.
Das „Nichten des Nichts“ ist womöglich Ausdruck seines Versuchs der „Entbergung“, als dem
Verborgensein der Antwort nach dem Sinn und Sein menschlicher Existenz in der Metaphysik.
Damit verknüpft sind untrüglich die von ihm so benannten „Existenzialien“ wie
(Erb-)Schuld, Angst vor dem „in-der-Welt-sein“ als in diese geworfen sein, Sorge, und dem
„Sein zum Tode“. In Betrachtung dieser tiefgreifenden Fragen kann man Heidegger durchaus
als Begründer der Extistentialontologie sehen.
Hinausgehend über den Versuch, Metaphysik neu zu denken resp. zu definieren, geht
Heidegger auch lebenspraktische Themen an:
Zu den Sachen zu den Dingen selbst; In seiner Abhandlung "Das Ding und das Werk"
verwendet er Begriffe wie "Ding", "Zeug" und "Werk" und
nimmt damit Bezug auf ein Alleinstellungsmerkmal des Menschen, Kunst zu schaffen, also
dementsprechendes handwerkliches Können zu entwickeln. Im Kunstwerk, resp. im Wesen der
Kunst sieht er "das Sich-ins-Werk-Setzen der Wahrheit des Seienden"verwirklicht.
Vielleicht könnte man mit ihm sagen: Kunst lässt Wahrheit zu; damit ist sicher auch der
gesellschaftlich eingeführte Begriff von „Freiheit der Kunst“ verbunden. Die potentielle
Freiheit, Wahrheit auszudrücken, was bisweilen die einzige Möglichkeit ist, dort Wahrheit
zum Ausdruck zu bringen, wo Wahrheit in Wort und Schrift unterdrückt wird. Wahrheit rückt
in‘s Licht, in das Offene der Welt, als offene Stelle im Dickicht der Holzwege:
„Lichtung“, wie es Heidegger nennt.
Wahrheit und die Kunst (im Sinne von „techne“) wie sie als Feuer und damit als Licht von
Prometheus den Menschen gebracht wurde und damit der Menschheit die Zivilisation möglich
machte. Warum er für diese Wohltat an den Felsen geschmiedet wurde, ließe sich als
Weitsicht des Zeus deuten, der dieser Menschheit den vernünftigen Umgang mit „Feuer“ nicht
zutraute und damit das „Hervorbringen“ von „techne“ letztlich zum schicksalhaften
Verhängnis für die Menschheit würde.
Vorbestimmtes Schicksal der Verdammnis? Damit wollte sich weder Heidegger noch Arendt
abfinden. In Heideggers berühmten Vortrag von der „Kehre“ erörtert er Möglichkeiten, die
Einstellung der Menschen zur Technik zu ändern. Ebenso Hannah Arendt mit ihrem
Handlungsbegriff „In Wahrheit ist es die Funktion jeden Handelns, im Unterschied zu einem
nur reaktiven Sich-Verhalten, Prozesse zu unterbrechen, die ansonsten automatisch und
voraussagbar verlaufen würden“ (sinngemäß). Übrigens hatten wir Arendts „Handlungsmaxime“
bereits im Themenbereich Willensfreiheit erörtert.
Damit wollte ich aufzeigen, dass beide, Heidegger wie Arendt, gerade angesichts der nun
allseits sichtbaren Probleme (Umwelt- und Geopolitik), die sich vornehmlich durch
extensive Techniknutzung (Organverlängerung des Menschen mit Maschinen, Geräten und
Waffen, die die Welt verwüsten) ergeben, nichts an Bedeutung verloren haben; auch wenn
ihre mitgeteilte Besorgnis dem Schicksal des „Warners in der Wüste“ anheim zu fallen
droht:
Eine Wüste, voll chaotisch angehäuftem Staub, der durch unbedachte Umtriebigkeit
aufgebracht, die Sicht auf die Wirklichkeit genommen hat und immer noch nimmt.
Bester Gruß an Dich und in die Runde! - Karl