Am 13.07.2024 um 03:12 schrieb Claus Zimmermann über
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Was Zeno beschreibt, ist meiner Meinung nach ein Annäherungsverfahren, aber nicht das
Zurücklegen einer Wegstrecke.
Moin Claus,
ich sehe das genauso und darauf beziehen sich ja auch die beiden mathematischen Lösungen,
einmal infinit-analytisch, einmal finit-algebraisch. Aber was motivierte Zeno dazu? In
welchem Kontext kam er darauf? B. L. van der Waerden leitet seinen Aufsatz „Zenon und die
Grundlagenkrise der griechischen Mathematik“ 1940 mit den Worten ein: „Was war der Zweck
der berühmten Antinomien des Zenon? Nach der landläufigen Meinung, die wohl auf Elias
zurückgeht, wollte Zenon die Möglichkeit der Bewegung widerlegen.
Demgegenüber hat Paul Tannerye im Rahmen seiner naturphilosophischen Deutung der
eleatischen Philosophie geltend gemacht, daß Zenon doch kein Skeptiker sei. Zenon habe
keineswegs die Bewegung verneint, sondern sein Ziel sei, die Pythagoreische These zu
widerlegen, nach der die Körper, die Flächen und die Linien Vielheiten, nämlich Vielheiten
von Punkten seien.“
Wollte Zenon nun die Möglichkeit der Bewegung oder die der Vielheit widerlegen? Und was
sollte er mit der Grundlagenkrise der griechischen Mathematik zu tun haben? Van der
Waerden zitiert Aristoteles mit den Worten: "Vier sind die Argumente Zenons über die
Bewegung, die den Auflösenden solche Schwierigkeiten bereiten: erstens das, welches die
Bewegung leugnet, weil das Bewegte immer vorher bis zur Hälfte gekommen sein müsse als bis
zum Ende. …
Zweitens der sogenannte Achilles. Er lautet so, daß das langsamste Wesen in seinem Lauf
niemals yon dem allerschnellsten eingeholt werden könne. Vorher nämlich müßte der
Veffolger jedesmal notwendig erst dorthin kommen, von wo der Fliehende schon losgelaufen
sei, so daß der Langsamere doch immer ein Stück voraus sein müsse. Auch dieses Argument
ist mit dem der Halbierung identisch, nur darin besteht der Unterschied, daß die Teilung
der jeweils neu hinzugenommenen Strecke nicht in zwei gleiche Teile erfolgt.
Das dritte ist … das, daß der fliegende Pfeil steht. … Das vierte ist das über die sich im
Stadion in entgegengesetzter Richtung aneinander vorbei bewegenden gleich großen Teilchen,
von denen die einen vom Ende des Stadion, die anderen von der Mitte aus mit gleicher
Geschwindigkeit sich bewegea sollen. Hier, meiate er, ergäbe sich, daß die halbe Zeit der
doppelten Zeit gleich sei. Der Fehler liegt darin, dab man meint, die gleiche Größe bewege
sich mit gleicher Geschwindigkeit in der gleichen Zeit ebenso an einer selber bewegten wie
an einer stehenden Größe vorbei.“
Nach van der Waerden soll in diese vier Beweisgründe vielfach eine Systematik
hineininterpretiert worden sein: „In den ersten beiden wird die Annahme gemacht, eine
Raum- oder Zeitstrecke sei unendlich teilbar, in den letzten beiden dagegen die, die
Teilung führe einmal zu letzten, indivisiblen Teilen.“ Sowohl die unendliche wie die
endliche Teilbarkeit widerspreche der Annahme des Einen bei Parmenides. Insofern verfolgte
Zeno mit seinen Paradoxien eine philosophische Absicht und leitete nicht die später der
Entdeckung des Irrationalen folgende innermathematische Krise ein. Die Bewegungsparadoxien
sind mathematisch erledigt worden, der Monismus aber bis heute problematisch geblieben.
Mit Parmenides habe ich mich aber seit Jahrzehnten nicht mehr befasst.
IT