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Am 21.10.2024 um 16:04 schrieb waldemar hammel über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Am 20.10.2024 um 19:07 schrieb ingo_mack über
PhilWeb:
hallo Waldemar,
ganz kurz, "ich be-stehe aus lokalen Atomen.."
ist etwas zu kurz gegriffen.
vom Atomkern bis zur "Hülle" der Elektronen ist ein weiter weg.
also jede menge Leere. diese Leere besteht nicht aus Nichts,
sondern aus "information" und bildet einen "Möglichkeitsraum"
aller möglichen Ereignisse.
ich vermute, ein "Gedanke" der sich in diesem Möglichkeitsraum manifestiert,
wird sofort (instantan) auf alle anderen "Möglichkeitsräume" des
gesamten Universums
weiterverteilt. (als Analogie vom Doppelspalt-Experiment und
Quantenverschränkung)
und kann somit überall Bestand annehmen; je nachdem wo, wann und wie
andere Reize den Beobachter (das übergeordnete Bewusstsein/ die noch
unentschiedene Superposition)
dazu anregen.
das obige dürfte mehr auf karls schiene der "wissenschaften-getriggerten
esoteriken" liegen ...
(wir laufen in die epoche der "realistischen magien")*
Die Frage hierbei ist, ob Wissenschaft die Esoterik „triggert“ oder umgekehrt erstere
unter den Einfluss esoterischen Denkens gerät. Doch was ist Esoterik?
Als ich in den späten 1980er Jahren beim Hugendubel (berühmte Bücherei in München) mit
anderen Studenten auf der Treppe zum Obergeschoss saß (wo die Regale für Fach- und
Studentenliteratur standen), um dort in - für Studenten sündhaft teuren - Fachbüchern nach
irgendwelchen erklärenden Passagen zu nicht begriffenen Vorlesungen zu suchen, kam ich an
ganzen Reihen esoterischer Literatur vorbei; Diese war als New Age verbrämt. „Das Tao der
Physik“ von Fritjof Capra war quasi die neue Bibel und eben in der Art
„wissenschaften-getriggerter Esoteriken“ abgefasst. Das Buch steht heute noch bei mir in
der ersten Reihe eines vollgestopften Regals.
Capra stand für mich, wie kein anderer zu dieser Zeit, mit seinem Denkmodell tatsächlich
für einen Paradigmenwechsel, den Übergang von einer durch Industrialisierung geprägten
positivistisch-mechanistischen auf eine ganzheitliche Weltsicht. Dieser neue Denkansatz
leitete bekanntlich das sog. New Age-Zeitalter ein, deren Protagonisten eine Verbindung
zur fernöstlich geprägten Weltsicht herzustellen versuchten. Doch diese weitestgehend
unvermittelte Verbindung westlich positivistischer Denkweise (die durchaus von modernder
Physik geprägt war) mit fernöstlicher Mystik konnte nicht fruchten. Ausser ein paar in
safrangelbe Lumpen gehüllten Jüngern selbsternannter Gurus, die Hare Krishna Mahamantras
murmelnd durch Straßen liefen, war keine nachhaltige Veränderung im hiesigen breit
angelegten gesellschaftlichen Denken zu erkennen.
In der sog. gehobenen Gesellschaftsschicht jedoch konnte man die Hinwendung zu
fernöstlichem Denken deutlich wahrnehmen, es kam in Mode, sich dem Buddhismus eher als der
angestammt christlichen Religion näher zu sehen, resp. zu fühlen. Doch diese Hinwendung
war zumeist nichts weiter als bloßes Lippenbekenntnis zur Selbstberuhigung, Momente
trügerischer Ruhe bei der rastlosen Suche nach Lebenssinn.
Zu dieser Zeit habe ich auch die Bücher von Krishnamurti gelesen, wovon „Freedom from the
Known“ vielleicht sein bekanntestes war. Verzicht zu üben in einer Zeit des Überflusses
ist kein abwegiger Ratschlag, doch der Appel auf Verzicht der Selbstwahrnehmung im Sinne
von Selbstverleugnung, als solchen ich Teile seiner Lehre („Teachings“) interpretiert
habe, ging mir dann doch zu weit und ich hatte mich ein Stück weit von seinen Aussagen
abgesetzt.
Die Haltung und Lebensführung der Menschen in den Industrienationen war damals - wie heute
wieder verstärkt - geprägt von einem Schwanken zwischen Aufbruchsstimmung und gleichzeitig
diffuser Zukunftsangst, verbunden mit einer gewissen Endzeitstimmung und dem Hinterfragen
von Sinnhaftigkeit des Lebens schlechthin. Aus dieser Gefühlslage heraus sind Menschen
offen für alle möglichen Theorien und Postulate, insbes. sog. Verschwörungstheorien.
Wir hatten hier im Forum lange über die Begrifflichkeit von Sinn und Zweck des Lebens
diskutiert als ein fundamentales, traditionelles Thema der Philosophie.
Die Frage, ob Leben grundsätzlich sinnfrei, d.h. ohne jegliche Intention, ohne Telos, dem
puren Zufall folgend, oder aber zielgerichtet, zweckgebunden und damit sinnvoll entsteht
und abläuft, steht perrenierend immer aufs Neue im Raum. Dabei ist diese Frage unzählige
Male beantwortet und womöglich ist die einfachste Antwort zugleich die beste: Der Sinn des
Lebens ist zu leben!
Somit würde sich zahllose Literatur zu diesem Thema und quälendes Grübeln hinsichtlich
Sinn und Zweck von Leben erübrigen und die Frage nach der Art und Weise von Lebensführung
in den Vordergrund rücken: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was
ist der Mensch? (Kants Grundfragen der Philosophie).
Carpe diem! Damit nochmal zu Krishnamurti und einem seiner letzten „Teachings“ in den
Schweizer Bergen (Saanen):
„Wenn Sie die Schönheit dieser Hügel sehen, die außergewöhnliche Stille eines jungen
Morgens wahrnehmen, die Gestalt der Berge, der Täler, der Schatten, wenn Sie sehen, wie
alles in Harmonie ist – würden Sie dann nicht Ihrem Freund schreiben: ›Komm hierher und
schau dir das an?‹ Es geht Ihnen nicht um Sie selbst, sondern nur um die Schönheit des
Berges.“
Diese Beschreibung der Schönheit von Natur und Leben eines als Esoteriker geschmähten
Denkers zeigt eine andere Seite von Esoterik, weitab dieser als Spinnerei oder Magie
verunglimpften Lebenseinstellung.
Nicht das egomane ICH des Menschen sollte im Vordergrund stehen, sondern seine
Persönlichkeit als Teil der menschlichen Gemeinschaft und der Natur.
Krishnamurtis Verdienst und Vermächtnis kann darin gesehen werden, der kulturellen
Egomanie des westlichen Bewusstseins die fernöstliche Denkweise von Gelassenheit
entgegenzusetzen, wie diese sich im Buddhismus oder auch im Daoismus als Grundhaltung zum
Leben ausdrückt.
Wu Wei als Ausdruck des Nicht-Handelns steht mitnichten für Nichtstun, sondern dafür,
Dinge entstehen und wachsen, schlichtweg geschehen zu lassen. Das ist eine meiner und
sicher auch vieler meiner Zeitgenossen abträgliche Vorstellung von aktiver
Lebensgestaltung, so diese sich obendrein nicht selten hyperaktiv zeigt.
Beizeiten sein eigenes Verhältnis zum gesellschaftlichen Umfeld, wie auch zur Umwelt
kritisch zu reflektieren, verlangt eine gewisse Innensicht, den Blick auf die Dinge hinter
den Dingen, die solchermaßen dem inneren Bereich des (Da)Seins angehören. Das ist Esoterik
in seiner genuinen Bedeutung und hat mit Magie nichts gemein, einerlei, ob man sie als
realistisch oder schimärenhaft ansieht.
KJ