Am 11.03.2023 um 22:48 schrieb waldemar_hammel über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
man lese dazu zb marc aurel (ein fast genialer mensch,
obwohl "nur hobby-philosoph im nebenberuf")
Es ist einige Zeit her, als ich die Selbstbetrachtungen des Marcus Aurelius gelesen habe,
glaube mich jedoch nicht zu erinnern, dass er eine Antwort auf die Trivialfrage der
Pseudo-Philosphie „Woher komme – wohin gehe ich?“ gegeben hätte, bzw. dass er diese Frage
überhaupt explizit aufgeworfen hat; vermutlich deshalb nicht, weil er sich diese gar nicht
stellte.
Heute ist der Spruch „im Hier und Jetzt“ en vogue und ich denke, dass auch dieser
herausragende Kaiser und (nicht nur Hobby-) Philosoph dort auch selbst verankert war, denn
seine Selbstbetrachtungen sind nichts als Lebenshilfe, Anleitung zu einem glücklichen
Leben durchaus im Sinne der Stoa.
„Woher komme – wohin gehe ich?“ - heutzutage ist diese Frage
„modern-naturwissenschaftlich“ hinreichend geklärt und damit beantwortet, aber eben nur
naturwissenschaftlich, schlichtweg: Der Mensch - aus Staub und zu Staub geworden.
Wer sich also nur als „Staub“ oder eben ein aus „Hammelkörnern“ zusammengesetztes
geistloses Konglomerat sieht, sollte mit dieser Antwort selig werden. Jeder nach seiner
façon - im wahrsten Wortsinne!
Diese Reduktion führt jedoch in eine Art solipsistischer Individuation, denn diese
Sichtweise entspricht nicht der Wesenheit des Menschen als Gemeinschaft. Wer über sich
hinaus zu sehen, zu denken oder zu fühlen vermag, wird erkennen, dass kein Mensch für sich
alleine überleben könnte. So geht es also immer auch um Gemeinschaft und
gesellschaftlichen Dialog, oder wie im zuletzt von Thomas hier eingebrachten Essay um ein
- abstrakt gesehen - „semantisches System“, das einem Ensemble von Akteuren gleicht.
„Wir alle spielen Theater“, das ist eine kleine Schrift, die ich im SoWi-Studium als
Pflichtlektüre gelesen hatte. Wie wahrhaft doch dieser Titel das Wesen des Menschen
zeigt!
Ervin Goffman geht in seiner Schrift insbesondere auf die spezifischen Eigenarten
gesellschaftlicher resp. zwischenmenschlicher Interaktion ein, die er dabei sinnbildhaft
auf eine Theaterbühne überträgt. Menschen interagieren dort in einem jeweiligen
Rollenspiel untereinander, wobei die Spezifika dieser verschiedenen Rollen die genuinen
charakterlichen Eigenarten der am Rollenspiel beteiligten Akteure durch den jeweiligen
sprachlichen wie körperlichen Ausdruck überdecken resp. ostentativ verbergen.
Damit wird gezeigt, dass Menschen zumeist einem Rollenmuster, als dem ureigenen Wesen
folgend, in Art eines symbolischen Interaktonismus – quasi hinter einer Maske -
kommunizieren, was Goffman als Asymmetrie der Kommunikation bezeichnet. Es sind aber nicht
immer nur jeweils gesellschaftlich etablierte Rollenmuster, sondern oftmals durch
Ideologie geprägte Denkmuster, deren man sich in Ermangelung selbst gewonnener Einsichten
bzw. Überzeugungen bedient und dafür stellvertretend kommuniziert.
Oben erwähntes Essay, in dem gesellschaftlicher Dialog als „semantisches System“ gedeutet
wird, ist vergleichbar mit einem Ensemble von Akteuren in ihren jeweils momentanen Rollen
und somit nicht als „leblos angeordnete Objektmengen“, sondern eben als „Agenten“ die
spezifisch adaptiv – in Art einer „strukturierten Co. Verarbeitung – kommunizieren. Das
liest sich sehr abstrakt, stellt aber eine idealisierte Form von Kommunikation dar, die
eben nicht durch absolute, sondern „relational offene Emergenz“, die sich von Innen nach
Außen abbildet und dennoch die dem Dialog jeweils innewohnende semantische,
„interaktionale“ Qualität nicht verliert.
„Wer hören kann, der höre!“ Viel zu oft sind wir in unserer Art des Dialogs hier
meilenweit von diesem Ideal eines gemeinschaftlichen Dialogs entfernt.
KJ