Nietzsche meinte ungefähr, daß es die Schwäche einer Haltung verrate, wenn man sie für
begründungsbedürftig hielte. Nehmen wir an, jemand ist menschenfreundlich und spendet für
Arme, weil er glaubt, daß das gut für die Entwicklung der Gattung ist, dann hält er diese
für ein höheres, vielleicht nicht mehr begründungsbedürftiges Gut als
Menschenfreundlichkeit (ansonsten: viel Spaß beim unendlichen Regress) und er wäre es
vielleicht gar nicht mehr, wenn man ihm zeigen würde, daß seine Voraussetzung nicht
stimmt. Man kann sich auf seine Haltung nur dann verlassen, wenn er keinen Grund für sie
braucht, sondern einfach so ist oder sich so entschieden hat. Oder wie du sagst: es gibt
keine Voraussetzung und kein Ziel, das man notwendigerweise verfolgen muss.
Konkrete Gebote oder Verbote wie "du sollst nicht ehebrechen/lügen/töten" sind
insofern etwas anderes als hier von Konsequenzen des Tuns oder Unterlassens nicht die Rede
ist, die jemand, der nicht nur an wohlwollende Beurteilung durch einen imaginierten
Vorgesetzten denkt, immer berücksichtigen wird.
-------- Ursprüngliche Nachricht --------Von: Rat Frag via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at> Datum: 16.04.17 22:40 (GMT+01:00) An: philweb
<Philweb(a)lists.philo.at> Betreff: Re: [Philweb] Eine Überlegung zu Humes Gesetz
[Philweb]
Ich muss mich entschuldigen, in so kurzer Zeit so viele Mails zu schreiben.
Doch die Osterzeit gibt mir viel Zeit zum nachdenken und ich wünsche meine
Gedanken zu diskutieren.
Nun, ich habe *immer noch* Bauchschmerzen mit dem Gegenargument, dass doch
jeder Begriff einen gewissen Auf*forderungs*charakter habe und deshalb die
Unterteilung in "dichte" und normale Begriffe hinfällig sei.
Mein bereits artikulierter Zweifel, ob diese Aufforderung dann
sittlicher/normativer Natur sei, besteht weiterhin.
Doch führt mich das zu einer völlig anderen Frage:
*Wo soll denn dieser Unterschied zwischen sittlichen Forderungen und
sonstigen Forderungen sein?*
Wenn ich den Unterschied nicht erklären könnte - so könnte man leicht
polemisch entgegnen - , dann könnte der Einwand sich als gegenstandslos
entpuppen, mein Zweifel wäre dann also unvernünftig.
Man muss doch zumindest begrifflich zwischen "Klugheitsregeln" (um an Kant
anzuschließen *) und "moralischen Postulaten" unterscheiden:
-> Eine Klugheitsregel zielt auf einen Nutzen ab. Zum Beispiel einen
Ratgeber für den Haushalt, indem Kochrezepte, Tipps zur Reinigung usw.
stehen. Der gibt ja auch Empfehlungen, die Forderungscharakter haben können.
-> Ein moralisches Postulat dagegen zielt nicht notwendigerweise auf den
eigenen Nutzen ab, sondern berücksichtigt noch die Interessen anderer
Beteiligter.
---
Der Unterschied scheint mir da zu liegen: Eine Klugheitsregel ist
eigentlich eine Wenn-Dann-Regel. *Wenn* du diese Kuchen backen willst,
*dann* musst du zu diesem Zweck folgende Dinge tun, du musst dir Mehl
besorgen und Eier und...
Diese Regel sagt mir zwar, wie ich mein Ziel am Besten erreiche, aber ich
muss vorher wissen, ob ich da hin will. Schmeckt mir der Kuchen nicht, kann
mir das Rezept egal sein.
Ein moralisches Postulat dagegen ist vergleichsweise absolut. Du sollst für
Arme spenden. Punkt. Es gibt keine Voraussetzung für dieses Gebot, kein
Ziel, das ich dabei notwendigerweise verfolgen muss. Es leitet sich
vielleicht aus elementareren Grundsätzen her, es wird vielleicht begründet
durch verschiedene Verfahren, aber sofern es gilt lässt es mir nicht mehr
die Wahl.
Nun gibt es auch bei dieser Auffassung noch so zwei, drei Probleme, aber,
glaub' ich, damit kann ich den Aufforderung gewöhnlicher Begriffe
entschärfen. Dass ich mir beim Wort "Zitrone" diese gelben, sauren Dinger
vorzustellen, ist vielleicht hilfreich für die Kommunikation. Dass ich
kommunizieren will, das kann mir der Begriff selbst aber nicht sagen.
---
Nun zu den zwei, drei Problemchen:
1. Man kann ohne Probleme argumentieren, dass moralische Gebote natürlich
auch einen Zweck verfolgen. Ein guter Mensch zu sein, das Gemeinwohl usw.
Für einen Konsequentialisten ist es sogar selbstverständlich, dass man
gewisse Konsequenzen seiner Handlungen anstrebt und/oder sie vermeiden will.
2. Ethische Gebote wollen allgemein begründet sein. Woher soll diese
Allgemeinheit denn nun eigentlich stammen, wenn nicht aus einer
Rationalität?
(Dieser Punkt lässt sich womöglich aufspalten.)
---
*: Gemeint ist hier nur das Vokabular.
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