Am 06.10.2022 um 01:41 schrieb Karl Janssen
<janssen.kja(a)online.de>de>:
Vorhin habe ich mir K. Barads „Meeting the universe halfway“ aus meinem Archiv gezogen
und kursiv einige Passagen überflogen. Wenn das wirklich 2015 war, als ich mich damit
beschäftigt habe, sind mittlerweile 7 Jahre verstrichen. Sieben Jahre sind schnell
dahingelebt, doch hinter diesem Zeitraum steckt ein signifikanter Zyklenwechsel: Jedes
eigene wie auch das gesellschaftliche Leben ist offensichtlich von diesem
Sieben-Jahres-Zyklus geprägt. Das soll wahrlich kein neues Thema hier sein, vielmehr will
ich damit sagen, dass sich meine Sicht auf Barads Werk um einiges anders als eben vor 7
Jahren darstellt; das zeigten mir schon die ersten wieder gelesenen Seiten.
Moin Karl,
ja, unser Leben ist kurz und das Universum existiert schon lange. Das werden wir nicht
mehr zu erfassen vermögen, aber einige Spekulationen ließen sich vielleicht noch
präzisieren und ein kleines Stück weit ausarbeiten. Für Barad sind die primären
ontologischen Einheiten ja „keine isolierbaren `Dinge', sondern Phänomene: dynamische,
topologische Rekonfigurationen / Verschränkungen / Rationalitäten / (Neu)Gliederungen der
Welt. Und die primären semantischen Einheiten sind nicht `Wörter’, sondern
materiell-diskursive Praktiken, durch die (ontische und semantische) Grenzen konstituiert
werden." Diese Dynamik des Tätigseins ist kein Attribut, „sondern die fortlaufende
Rekonfiguration der Welt. Das Universum ist im Werden begriffene agentielle
Intraaktivität.“ So steht es in ihrer deutschen Kurfassung: „Agentieller Realismus".
Mit dem Bezug auf das Tätigsein in materiell-diskursiven Praktiken knüpft Barad nicht nur
an die von Bohr hervorgehobene Laborpraxis an, sondern gleichfalls an den methodischen
Konstruktivismus Lorenzens. Paradigmatisch dafür sind die im Anschluss an Einstein und
Bell durchgeführten Verschränkungsexperimente Aspects. Aber wie weit gehen Einstein und
Bohr, Lorenzen und Barad noch konform beim Interpretieren der Experimente?
Mit ihrem ins Universum entgrenzten Blick bezieht Barad sich wieder auf Einstein, der
allerdings die Quantentheorie nicht als grundlegend, da unvollständig, ansah. Aber wie
grundlegend könnte der aus der Quantentheorie verallgemeinerte Agentielle Realismus sein?
Mit der agentiellen Intraaktivitä knüpft Barad an Bohr und mit dem Realismus an Einstein
an. Aber wie weit ließe sich diese ins Universum entgrenzte Synthese mit Lorenzen
methodisch rekonstruieren?
Zwischen der methodischen Strenge Lorenzens und den Spekulationen Barad’s scheint mir ein
weiter Weg zu liegen, auch wenn Brian D. Josephson aus dem
Mind-Matter Unification Project im agentiellen Realismus A STRUCTURAL THEORY OF EVERYTHING
sieht: ``In this paper it is argued that Barad's Agential Realism, an approach to
quantum mechanics originating in the philosophy of Niels Bohr, can be the basis of a
‘theory of everything’ consistent with a proposal of Wheeler that observer-participancy is
the foundation of everything. On the one hand, agential realism can be grounded in models
of self-organisation such as the hypercycles of Eigen, while on the other agential
realism, by virtue of the ‘discursive practices’ that constitute one aspect of the theory,
implies the possibility of the generation of physical phenomena through acts of
specification originating at a more fundamental level. Included in phenomena that may be
generated by such a mechanism are the origin and evolution of life, and human capacities
such as mathematical and musical intuition.’’
https://philpapers.org/rec/JOSAST <https://philpapers.org/rec/JOSAST>
Dass es noch viel zu tun gibt, sieht natürlich auch Josephson, indem er schließt: ``It
must be for the future to examine the ideas presented here in detail, and to see how well
they hold up to examination.’’ Barad geht jedenfalls nicht vom Menschen als Maß aller
Dinge aus, versucht vielmehr alles aus der im Werden begriffenen agentiellen
Intraaktivität des Universums zu entwickeln.
IT