Am 09.04.2022 um 23:43 schrieb K. Janssen via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at>at>:
Nichts ist für die Ewigkeit, dennoch bleibt die Ungewissheit bezüglich der Frage von
Ewiger Wiederkehr: Geboren werden und sterben, abbrechen und aufbauen, weinen und lachen,
verlieren und finden, schweigen und reden, lieben und hassen. Man muss nicht biblische
Zitate bemühen, um diese Tatsache für sich persönlich zu erkennen. Dennoch vermittelt es
Trost wie auch Optimismus zu sehen, was zu allen Zeiten bisher gegolten hat: die Zeit
heilt alle Wunden. Aber was ist Zeit, was ist ihr Wesen, wie wird sie zum Heiler?
Nun wie gesagt, darüber wollte ich hier im Forum schreiben, das allerdings unter einem
gänzlich „anderen Stern“, derzeit stehen die Sterne schlecht und man möchte Astrologen
fragen, wann sich diese Unglückskonstellation wieder auflöst. Womöglich erhält man darauf
ähnlich verschiedene Antworten, wie auf die Frage nach dem Wesen der Zeit, die gleichwohl
besser an Astronomen und Kosmologen gerichtet ist.
Moin Karl,
mein Hinweis vom 28.12.23 auf Denis Le Bihan’s Untersuchung: "From Black Holes
Entropy to Consciousness: The Dimensions of the Brain Connectome“ rief ebenfalls keine
weiterführende Diskussion hervor. Von einer historischen Zeitenwende zu physikalischen
Raum-Zeit-Modellen sollte sich gleichwohl ein Bogen spannen lassen. Seit 10.000 Jahren
wird am Nil durch Überschwemmungen und Bewässerung Ackerbau betrieben. Dabei scheint der
(gegengewichtete Schöpfeimer) Schaduff in Ägypten der Bedeutung der Dampfmaschine für die
Industrie in England entsprochen zu haben. Anstatt speziell physikalisch sollten wir wohl
besser allgemein philosophisch fortfahren, bspw. mit PHILOKLES Zeitschrift für populäre
Philosophie, Heft 20:
https://philoklesonline.files.wordpress.com/2016/07/philokles-maerz2014.pdf
Für einen Philosophen beginnt die Diskussion über Zeit natürlich mit einer
Begriffsklärung, wobei Janich zunächst sprachlich die modale, ordinale und dauernde Zeit
unterscheidet: „Sieht man sich an, was alles an feuilletonistischem Unsinn zum Thema Zeit
gesagt wird und wie viele neue Bücher zum Thema Zeit immer wieder erscheinen, dann tut
Begriffsklärung not. Die drei Aspekte unserer Rede über Zeit, nämlich die Modi
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die zeitliche Ordnung von Ereignissen nach früher
und später sowie die Messung von Zeitdauern sind grundlegend auch z. B. für
psychologische Ansätze zum Zeitempfinden, für soziologische Ansätze etwa zur
Entschleunigung unseres Lebens, für biologische Theorien über unsere inneren Uhren und
nicht zuletzt für die Physik, die Evolutionsbiologie, aber auch die
Geschichtswissenschaften.“
Nach Janich ist es „allein der Bezug auf einen Bewegungsvergleich, der die Rede vom
Verfließen der Zeit erlaubt (eine Metapher aus dem Gebrauch von Wasser- oder Sanduhren).
Und man vergesse nicht, dass ja jeder, der spricht, auch lebt, also z. B. Atmung oder
Herzschlag hat. Wir haben also immer eine ‚Vergleichsbewegung‘ in uns.“ In Verbindung mit
Janichs methodischer Herangehensweise, die er bereits 1969 mit seiner „Protophysik der
Zeit“ begann, ist mir der Bezug auf Aristoteles noch plausibel. Und trotz des
überheblichen Titels „Das Wesen der Zeit“ liegen mir Psarros’ Überlegungen, eine
„methodisch geordnete Explikation der Kerntermini des Zeit-Vokabulars zu liefern“ näher
als die Ausführungen zu Hegel und McTaggart.
Wie es mit zeitlicher Erfahrung zugehen mag, hat Jenann Ismael mit "Temporal
Experience“ für das "Oxford Handbook on Time“ ausgeführt:
https://www.jenanni.com/papers/time/
Janich beginnt mit der menschlichen Zeit, Ismael versucht "From Physical Time to
Human Time“ zu kommen und in "Time and the Visual Imagination“ gelangt sie "From
Physics to Philosophy“; denn „the visual imagination is one of our most powerful tools in
helping us think through abstract problems in physics and it plays an especially prominent
role in spacetime physics, but it is also behind some of the most trenchant
misunderstandings about what physics tells us about the nature of time. This chapter is
about the images of time coming out of physics and the philosophical confusions to which
they give rise."
Demgegenüber hat Diane Stringer in Adelaide promoviert mit: "Constructing time:
temporal experience and its future directed aspects“. Die Konstruktion von Zeit mit Blick
auf die Zukunft, gleichsam der immer wieder angepasste Lebensentwurf, verweist mich auf
die Existenzialisten, die sich wie auch Stringer auf Husserl bezogen haben:
https://adelaide.academia.edu/DianeStringer
In Sidney gibt es sogar ein Zeitzentrum, um sich der Zeitmysterien anzunehmen:
https://www.sydney.edu.au/arts/our-research/centres-institutes-and-groups/c…
Im Anschluss an Le Bihan denke ich in Verbindung mit dem holographischen Prinzip weiter
über den Zusammenhang von Konnektom, Raumzeit und Bewusstsein nach; denn um Wheeler zu
paraphrasieren: "the curvature of connectome spacetime tells neural activity how to
flow, while neural activity tells connectome spacetime how to curve.“ Und "the
realization of the holographic principle, not only represents a major advance towards the
unification of matter, gravity, and quantum mechanics, by merging string theory and
quantum gravity, but could also give us clues as to how a 5D gravity-like conscious mind
might emerge from a 4D quantum-like brain connectome.“ Bevor aus dieser fiction science
wird, sind allerdings noch wesentliche empirische Belege durch bildgebende Verfahren
beizubringen. Was mag mehr als Bewegung hinter den Zusammenhängen zwischen Zeit und
Energie sowie Zeit und Bewusstsein stecken?
IT