„Wer bin ich – wer sind wir?“ Unsere Diskussionsbeiträge zu diesen
Fragen haben uns zuletzt ein Stück weit in eine „Sackgasse“ laufen
lassen. Dies vielleicht auch deshalb, weil wir am Diskurs Beteiligten
mit unseren individuell fixierten Überzeugungen, Stellungnahmen,
Empfindlichkeiten etc. die Möglichkeit eines konsensfähigen
weiterführenden Dialogs erschwert haben, noch dazu, wenn persönliche
Standpunkte zu einen im Diskurs stehenden Sachverhalt als quasi
axiomatisches Faktum postuliert werden (etwa in Art eines
„Basta-Arguments“: das ist so – Punkt!). Letzteres ist natürlich
unumgänglich, wenn das diskutierte Thema tatsächlich (einem
interdisziplinär -wissenschaftlich breit angelegten Konsens folgend) als
allgemein gültig geklärt ist. Das kann aber selbstredend nicht für
Themenkreise der Metaphysik und schon gar nicht für Religion angenommen
werden (warum wir aus gutem Grund letztere hier etwas zurückstellen
wollen, allerdings ohne diese zu tabuisieren).
Diesbezüglich ebenso kritisch ist der Themenkomplex der Anthropologie,
gleichermaßen, ob man ihn aus philosophischer oder naturalistischer
Sicht betrachtet.
So kann etwa die mit Absolutheitsanspruch getroffene Aussage, der Mensch
sei nichts anderes, als ein geistloser, von „Kappes und Kartoffeln"
gefütterter Molekularverbund und damit: "leben ist nur materie und sonst
nix !“, jede weiterführende Diskussion abwürgen; diese weiterführen zu
wollen, erübrigt sich jedoch ohnehin, wenn unter derart unilateral
angelegtem Aspekt man davon ausgeht, dass das Rätsel des Lebens bzw. der
Lebensentstehung bereits (eben aus evolutionsbiologischer Sicht) gelöst ist.
Sollte man sich also mit derartig mono-polarem Denkmodell (demnach eine
als einzig gültig anzunehmende physikalisch-materialistische Realität)
abzufinden haben, erhebt sich die Frage, ob denn überhaupt noch ein
transmaterieller, philosophisch orientierter Blick auf den Menschen im
Kontext unseres Themas „wer bin ich – wer sind wir?“ sinnvoll ist und
insbesondere weiterführend sein kann.
Damit wäre dann auch die Aufforderung des Gnothi Seautón, also jenem
„erkenne dich selbst!“, das Du, Waldemar, uns vor einiger Zeit hier an‘s
Herz gelegt hast, obsolet geworden!
Wenn jedoch unumstößlich gelten sollte: "leben ist nur materie und sonst
nix !“ dann gibt es demnach nichts mehr zu erkennen, da „Materie“
(naturwissenschaftlich) hinreichend definiert und erklärt ist (vom
Phänomen der Dunklen Materie einmal abgesehen).
Wenn man mit Bezug auf pur geistlose Materie unser Thema erörtert und
sich demgemäß mit o.a. ernüchternder Erkenntnis zufrieden gibt,
letztlich nur ein geistloser Molekularhaufen zu sein, scheint es mir nur
wenig tröstlich, sich immerhin als ein hochkomplex wechselwirkendes
System zu erkennen, überdies dem genialen Prinzip der Autopoiese folgend.
Anm. für Ingo: Ich betrachte den Menschen (wie von Dir kritisch
gewürdigt) nicht als System im Sinne eines (von wem auch immer)
„gemachten Systems“, sondern (in spezifisch naturalistischer Sicht) als
ein Konglomerat chemisch-biologischer Kreisprozesse, die man mit
vornehmlich wissenschaftlich-systemischer Methode (Thermodynamik,
Entropie etc.) erklärt, bzw. diese zu beschreiben versucht. Dabei mache
ich eben nicht Halt bei ausschließlich positivistisch sowie
naturwissenschaftlich angelegten Denk- und Erklärungsmodellen (die
übliche Grundlage für ein rigides nihilistisches Weltbild) sondern
beziehe Fragestellungen bzgl. des (eigentlich nicht zu bezweifelnden)
immateriellen, also geistig-seelischen Daseins mit ein.
Erstere Weltsicht wird m.E. durch R. Dawkins auf ernüchternde, jegliche
Übernatürlichkeit entbehrende Art beschrieben:
„In einem Universum mit blinden physikalischen Kräften und genetischer
Verdoppelung werden manche Menschen verletzt, andere haben Glück, und
man wird darin weder Sinn und Verstand
noch irgendeine Gerechtigkeit finden. Das Universum, das wir beobachten,
hat genau die Eigenschaften, mit denen man rechnet, wenn dahinter kein
Plan, keine Absicht, kein Gut oder Böse steht,
nichts außer blinder, erbarmungsloser Gleichgültigkeit.“ (R. Dawkins)
Und diese Sichtweise trifft unumwunden zu, soweit sie unter Ausrichtung
auf ausschließlich evolutionsbiologische Kriterien angelegt ist.
Diesem „Horror vacui“ zu entkommen, könnte man es mit Epikur halten oder
versucht sein, ein von den Naturwissenschaften mit dem Anspruch auf
Letztbegründung erklärtes Weltbild zu übernehmen, ohne jedoch sicher
sein zu können, dass dieses definitiv unwiderlegbare, axiomatische
Relevanz hat (also letztlich doch nur eine auf Naturwissenschaft
bezogene Selbstinterpretation ist). Letzteres auszuschließen, kann m.E.
nur durch interdisziplinäres Bemühen um Verifizierung bzw.
Falsifizierung entsprechender Thesen sichergestellt werden. Daraus
ergibt sich, dass ein mit Absolutheitsanspruch (somit Letztbegründung)
allein durch Naturwissenschaft oder Geisteswissenschaft entwickeltes
Weltbild (von Theologie ganz zu schweigen) unzutreffend sein muss, da
jeder Seite die Perspektive der anderen fehlt.
Natürlich kann man versuchen, beide Perspektiven zusammenzuführen und
vom großen Ganzen, einem „alles ist eins“ ausgehen, wie dies vornehmlich
in spirituell bzw. magisch-animistisch (Waldemar-speech) angelegten
Weltbildern geschieht.
Ich kann dieser Weltsicht nichts abgewinnen, da sie zum einen die
Grundannahme eines (mittlerweile auch in unserem Kulturkreis weit
verbreitetes) irrational-idealistischen Wunschbild von unserer
Lebenswelt ist und zum anderen deren dialektisches Grundprinzip damit
verletzt wird.
Dieses Grundprinzip beziehe ich vordergründig nicht auf den
dialektischen Materialismus (Engels), wonach die Einheit der Welt in
ewig, unendlicher Materie begründet ist und damit, wegen der Äquivalenz
von Materie und Energie, letztere (ausschließlich!) als essentieller
Beweggrund fortwährend autopoietischer Welterschaffung zu gelten hätte.
Als definitiv zutreffend hingegen sehe ich die Tatsache, dass sich die
konkrete (von diversen Bewegungsgesetzen determinierte) Wirklichkeit im
Bewusstsein des Menschen abbildet. Diese Dynamik von Materie ~ Energie
ist der Gegensätzlichkeit geschuldet, eben also genau dieses
unumgängliche Spannungsfeld (Differenz) zu (evolutionärer) Veränderung
resp. Weiterentwicklung führt.
Den Unterschied resp. die spezifische Charakteristik von Materie
(Körperlichkeit) und Bewusstsein/Geist sehe ich nicht durch deren
synkretische Wechselwirkung neutralisiert, sondern in dialektischer
Wechselbeziehung zweier Systeme ausgeprägt, eben der Physis und dem
Komplex psychischer Grundfunktionen (Intuition, Empfinden, Fühlen,
Denken – gem. C.G. Jung).
Damit sind wir auch bei W. Pauli (hier als Patient von Jung), dessen
Gedicht zu "Quantenmechanik und I Ging" uns Ingo T. hier vorgestellt hat.
Pauli zählte zu jenen Forschern, die eine Reduzierung von
Bewusstsein/Geist einzig auf materielles Prozessgeschehen
(Wechselwirkung) als nicht hinreichendes Erklärungsmodell ablehnen (wie
sollte er auch: war er doch für seine „paranormale“ Ausstrahlung
berüchtigt und in Laborumgebungen gefürchtet :-) ).
Jung spricht in diesem Zusammenhang von dialektischer Entwicklung
mythischer Substanzen, die sich als Archetypen im kollektiven
Unbewussten widerspiegeln.
Somit könnte m.E. Waldemars Denkansatz von unterschiedlichen „Layern“
weiterführend sein:
/wh: „unser grundlegender emotionaler layer aber kennt diesen
immun-unterschied nicht, so behauptet der emotio-layer in uns lebenslang
"alles ist eins", während das immunsystem behauptet "es gibt ich selbst
und fremd", und so werden vom emotio-layer götter gebildet, die das
"alles ist eines" weiter tragen..“/
Dieser „emotio-layer“, ausgeprägt in diesem „alles ist eins“- Denken,
wäre nach C.G. Jung also nicht reduktiv, sondern würde zu transzendenten
und weltumfassenden Ideen führen.
Sich weder in derartigen Ideen verlieren, noch sich auf unbeweisbare
naturalistische Weltbilder zu versteifen, könnte dieses „Erkenne dich
selbst“ der griechischen Antike auf mahnende Weise hilfreich sein:
nämlich nicht im Erdenken und Erklären der Welt in Selbstüberhebung
(oder gar Selbstgefälligkeit) zu geraten.
Ebenso mahnend Waldemar:
/wh: „deshalb ist mensch im prinzip ein defekte-wesen, das lebenslang
auf einer art kindheitsstufe verbleibt = retardierung = gefangen in der
hirn-falle)“/
/Lebenslang auf Kindheitsstufe?/ Das mag für etliche Zeitgenossen
zutreffen, für uns hier alle in philweb möchte ich das keinesfalls
annehmen :-))
/Gefangen in der Hirn-Falle./ Nun, das sind wir bisweilen tatsächlich
(viel zu) oft!
Nicht darin gefangen sein zu müssen, also seinem Dasein (So-Sein)
lebenstüchtig zu begegnen, könnte man („im Zuge des „immun-erwachsen
werden“) aus der Erkenntnis des „ich und Außenwelt“ ein entsprechendes
Weltbild entwickeln, das von der Grundüberzeugung getragen ist, dass
jegliches Leben nur in Differenz möglich ist.
Sehr treffend (diesmal in mystischem Bezug!) von Waldemar ausgedrückt:
/wh: Es gibt [ihnen] die schlange mit gespaltener zunge (ja-nein,
gut-schlecht, nützlich-unnütz, usw) die sprache zur/der selbst- und
aussenwelt- erkenntnis, ...“/
Doch nicht nur Sprache als syntaktisch-logische Ausdrucksform von
ja-nein (analog zur informationstechnischen Symbolik von 1-0) sondern
die dahinter liegende Semantik gibt qualitativ Aufschluss über die
Relation von Selbst – und Außenwelterkenntnis (also dem Verhältnis des
subjektiven Selbstbilds zu einer objektiven Weltsicht). Dieses
Verhältnis ist m.E. nur durch objektive Introspektive zu erkennen (man
schaut, gemäß der Subjekt-Objekt-Trennung, gewissermaßen von außen auf
sich), d.h. das genuine ICH als Person (Persona) kann sich nur aus der
Perspektive einer Fremdsicht begreifen und das ist somit die einzige
Möglichkeit der Selbstobjektivierung.
/ “Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind
blind”./ Während erstere Aussage Kants als Binsenweisheit erscheinen
mag, ist die zweite elementar. Wenn man also keine Begrifflichkeit von
(für mich) unzweifelhaft existierenden seelisch-geistigen Elementen im
menschlichen Dasein hat, kann man auch keine zutreffende „Anschauung“
resp. Auffassung davon haben. Natürlich kann man diesem Defizit
abhelfen, indem man Begriffe wie Geist und Seele grundsätzlich infrage
stellt, bzw. ablehnt.
Für viele Menschen bedeutet dieses Defizit jedoch einen für sie
kritischen Sinnverlust.
Ich hatte vor einiger Zeit hier geschrieben, dass der Mensch ohne den
Glauben an Sinnhaftigkeit (hier ist nicht Religion gemeint!) bzw. ohne
die Überzeugung vom Sinn seines und des Lebens schlechthin, nicht in
zureichend psychischer Stabilität leben kann, d.h. die Last und Unbilden
des Lebens letztlich nicht ohne (meist psychosomatischen) Schaden zu
nehmen, ertragen kann.
Um nun der Furcht vor Sinnlosigkeit allen Lebens zu begegnen, muss bzw.
sollte man nicht in einen diffusen Glauben an einen „kosmischen Sinn“
oder ein irgendwie theologisch geprägtes Weltbild verfallen müssen.
Ebenso wenig sollte man glauben (resp. Glauben schenken), der Mensch
könne mit seinem letztlich beschränkten Erkennungsvermögen eine
letztbegründete „Theory Of Everything“ entwickeln (wir hatten hier
darüber geschrieben und ich meinte damit nicht Letztbegründetheit einer
allumfassenden Welterklärung einschließlich transnatürlicher Phänomene,
sondern die Möglichkeit, partiell letztbegründete Erkenntnis durch
Forschung zu gewinnen).
Für meine Begriffe bleibt Platons Höhlengleichnis auf alle Zeit
relevant, da Menschen nun mal intrinsischer Teil des kosmischen Systems
sind und daher nicht über die zur letztbegründbaren Erkenntnis
erforderliche Außensicht auf das kosmische Geschehen verfügen. Die
Überwindung der „kosmischen“ Subjekt-Objekt-Trennung kann (ohne Bezug
auf Metaphysik) nicht gelingen.
So stellt sich einmal mehr die Frage, ob Philosophie generell einem
Sinnverlust abhelfen kann (nicht gemeint ist die Frage nach dem Sinn des
Lebens als diesbezüglich allseits benutztem Stereotyp).
Ich denke ja, denn Philosophie, die nicht als schnödes Katheter-Ereignis
und nicht unter beharrlichem Bezug auf philosophiegeschichtliche Fakten
(so bedeutsam diese grundsätzlich sind) betrieben wird, sondern eben im
Sinne dieses „Erkenne dich selbst“ durch transzendentale Selbsterfahrung
zu generell erhellender wie ermunternder Sicht auf die Lebenswelt als
Ganzes führen kann.
Diese, an Husserls transzendentaler Ontologie anlehnende, Sichtweise
bezieht sich auf die faktische Weltverbundenheit und -offenheit des
Menschen, wie er sich dadurch eben nicht als sinnfreies Wesen
erniedrigt, sondern durch sein konkretes Einlassen auf die Lebenswelt
einen Platz einnimmt, von dem aus er seinen Eigenschaften und
Möglichkeiten entsprechend sinnstiftend wirken kann.
Weniger sinnstiftend ist m.E. eine grundsätzlich nihilistische
Weltsicht. Philosophie unter dem Aspekt eines radikalen Nihilismus
betreiben zu wollen, gleicht dem (hier nun wirklich) sinnlosen Vorhaben,
Fußball ohne Ball zu spielen.
Doch immerhin sehe auch für radikale Nihilisten eine Zukunftsvision: Den
Cyborg! Um es mit Shakespeare zu sagen: /„Früher war er Mensch, jetzt
ist er aus Eisen, mehr weiß man nicht!“/
Für nicht so sehr an spekulativ-philosophischen Aspekten interessierte
Zeitgenossen, sowie für jene Naturalisten, die sich in einer Art
Selbst-Transzendenz, quasi durch autopoietische „Selbst-Aktualisierung“
prägnante Authentizität erwirken und sich damit einen individuell
sinnstiftenden Lebensraum schaffen, könnte Huxleys Zielorientierung (und
doch in absoluter Anlehnung an Epikur!) als Maxime dienen:
/„Die Ziele, über die wir uns einigen könnten, liegen im Bereich eines
‚guten Lebens’, in einem erfüllten Dasein des Einzelnen, in den
hervorragenden Leistungen von Gesellschaften und Kulturen//
//und in der Vervollkommnung der Menschheit im Rahmen der biologischen
Evolution. […] Jeder einzelne Mensch sollte als ein geliebtes und
erwünschtes Kind in eine Umwelt hinein geboren wer-//
//den, die ihm in Freiheit die volle Entfaltung all der kennzeichnenden
Anlagen erlauben wird, mit denen er körperlich, geistig und seelisch
ausgestattet ist.“ (Huxley)/
Mit bestem Gruß in die Runde! - Karl
PS: Mit Goethe gesagt: Entschuldigung für meine längliche Ausführung,
zur Kürze fehlte mir die Zeit! (Ich sollte eher sagen, zur Kürze fehlte
mir Talent).
...und immer noch kein Wahlergebnis da über(n)see