Am 03.11.2022 um 04:14 schrieb Karl Janssen über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Zufall als ein von Gott nicht erlaubtes und daher nicht existentes „x“, hatte Joseph
kürzlich hier in die Diskussion eingebracht und damit offenbar auf Einsteins „Gott
würfelt nicht“ abgehoben, zugleich als strittige Frage in den Raum gestellt, ob es
überhaupt „echten Zufall“ geben könnte.
Moin Karl,
der Wörter-Jongleur JH schreibt ja meistens aus seiner Erinnerung heraus und vermeidet
Quellenangaben. Insofern hatte ich die Bemerkung mit Einstein als Scherz aufgefasst; denn
der hat sie ja nur privat bzw. in persönlichen Briefen geäußert. Siehe dazu die Übersicht
bei DESY:
https://fortbildung-zeuthen.desy.de/sites2009/site_fortbildung-zeuthen/cont…
<https://fortbildung-zeuthen.desy.de/sites2009/site_fortbildung-zeuthen/content/e69094/e218102/e218103/DerAltewrfeltnicht_ger.pdf>
Mir ist keine wissenschaftliche Publikation bekannt, in der Einstein sich auf den Alten,
wie er ihn gerne ironisch nannte, bezog. Eine Ausnahme in der Wissenschaft bildet
vielleicht sein Kommentar zu einer Messung gegen die Gravitationstheorie in einer
Vorlesung an der Princeton University 1921: "Subtle is the Lord but malicious He is
not.“ Auf die Frage aber, was er damit meine, ersetzt er Gott durch Natur: „Die Natur
verbirgt ihr Geheimnis durch die Erhabenheit ihres Wesens, aber nicht durch List.“
Bei allem bislang hier zum Zufall Geschriebenen fragt
sich, warum überhaupt nach echtem und scheinbaren Zufall unterschieden werden soll, wenn
doch lebenspraktisch und auf technologische Relevanz bezogen, hinreichende Werkzeuge zur
Erzeugung von Zufallszahlen verfügbar sind. …
Die Radioaktivität vermittelt mir nach wie vor ein Gefühl des Geheimnisvollen und den
Ansporn, noch möglichst lange die Forschungen dazu bedenken zu können. Warum hast Du sie
in Deinen weitschweifigen Ausführungen zum Zufall ignoriert?
Mein Zugang zu dieser Thematik liegt nicht so sehr im
Detail, sondern auf den wissenschaftlich nachgewiesenen Quantenwechselwirkungen, wobei ein
jeweils betrachtetes Quantensystem sich durch Dekohärenz (Manifestierung des
Quantensystems in eine bestimmte Basis von Eigenzuständen) mit seiner Umwelt interagiert
und sich entsprechend an diese anpasst. Der envariante Ursprung (durch spezifische
Umweltfaktoren beeinflusste Invarianz) der Bornschen Wahrscheinlichkeitsregel ändert die
Beziehung zwischen Un/wissenheit (und damit Information!) und der eigentlichen Natur von
Quantenzuständen.
Die Annahme einer Dekohärenz von Quantensystemen ist ja nur eine von vielen
Interpretationen. Was nimmt Dich für sie ein? Und wie hältst Du es mit der Arbeit von
Pusey et al. aus meiner Mail vom 30.10: "On the reality of the quantum state“? Im
Gegensatz zum informatorischen scheint Dir ein realistischer Blick auf die QM schwer zu
fallen. Dabei handelt es sich bei Pusey et al. immerhin um ein no-go-theorem, das Dich
herausfordern sollte: "We show that any model in which a quantum state represents
mere information about an underlying physical state of the system, and in which systems
that are prepared independently have independent physical states, must make predictions
that contradict those of quantum theory.“
In diesem Licht erscheint mir Barads Annahme der
Intra-Action, als einer der Materialisierung vorgängigen Verschränkung zwischen Mikro- und
Makrowelt, zwar ähnlich wie Zureks Theorie der envariance (von „entanglement-assisted
invariance“, also der durch Quantenverschränkung gestützten Invarianz) als Basis der
Materialisierung per Quantendarwinismus und damit in beiden Denk-Modellen eine plausible
Erklärung, wie die klassisch physische Lebenswelt aus der Quantenwelt entsteht; die
Konsequenz hinsichtlich der Frage, ob die Welt determiniert oder per Zufall strukturiert
ist, bleibt in beiden Modellen vage verborgen. Daher neige ich eher zur de
Broglie-Bohmschen Theorie, modulo der grundsätzlich gültigen Elemente der Denkmodelle von
Barad und Zurek.
Das Thema wird uns noch weiterhin beschäftigen.
„Annahme der Intra-Action, als einer der Materialisierung vorgängigen Verschränkung
zwischen Mikro- und Makrowelt“ ist doch bloß Jargon. Was soll denn das heißen? Dass Mikro-
und Makrowelt verschränkt sind wie die Quanten in den EPR-Experimenten? Gibt es einen
entsprechenden Formalismus dafür, der testbar wäre? Demgegenüber bezieht sich Kastner auf
ihre stochastisch erweiterte Absorbertheorie und hat mir bereits die Broglie-Bohmsche
Theorie madig gemacht. Ob sich ihre Handshakes mit den Intra-Actions zusammenbringen
lassen, ist noch offen.
IT