Am Mi., 15. Mai 2019 um 14:11 Uhr schrieb K. Janssen:
Ja, diesen Eindruck teile ich, denke aber, dass es auf
eine gute Balance
zwischen den Disziplinen ankommt. Generell ist „Balance“ für mich ein
„Zauberwort“, natürlich nicht nur als Wort, vielmehr als Zustand.
Kannst du das näher ausführen? Was genau ist gemeint?
Wie gesagt, Pascal sehr in Ehren bei mir bzgl. seiner
Verdienste in Physik
und Mathematik. Als christlicher Apologet spricht er mich nicht an, was
nicht heisst, dass ich mich den Atheisten zurechnen würde; nicht jenen, die
genau am entgegengesetzten Ende einer Skala wie blind Glaubende (welcher
Religion und Konfession auch immer) als blindwütige Materialisten ihr, auf
puren Physikalismus reduziertes jämmerliches Leben durchbringen.
Zunächst einmal zolle ich einen christlichen Apologeten auch einen gewissen
Respekt, wenn ich mit seinen Überzeugungen selbst nichts anfangen kann. Das
sehe ich so, wie man einen großen Musiker auch ehren kann, wenn man seinen
Musikstil nicht mag.
Ich kann dich da aber nachvollziehen: Pascal muss einen nicht ansprechen,
auch als Apologet nicht. Allerdings sind die Reihen dieser
"Geistesströmung" meines Erachtens in letzter Zeit auch lichter geworden.
Nach Berkeley und Pascal kamen im Grunde keine Leute mehr, die es auf diese
Höhe geschafft haben. Es gibt in den USA, soweit ich weiß, noch ein paar
Philosophen, die so etwas ähnliches machen. Ich kenne diese einfach nicht,
daher keine Aussage dazu.
Man muss vielleicht verschiedene
"Denkschritte" differenzieren. Wenn
man an eine göttliche Gerechtigkeit glaubt, fällt
es einem vielleicht
auch leichter zu ertragen, wie viel unrecht auf der Welt geschieht,
ohne dass es bestraft wird. Man hat dann eben die Hoffnung, dass es
jenseits der Welt eine Strafe und eine Belohnung gibt.
Der Mechanismus ist wohl vergleichbar mit der Deontischen Ethik.
Hoffnung auf einen Gott, der kraft seiner Omnipotenz Strafe und Belohnung
für Menschen bereithält, die sich nach ihrem Tod in irgendein Jenseitiges
wünschen bzw. dieses fürchten, ist für mein Empfinden eine schwache
Hoffnung bzw. schwacher Trost.
Es ging mir nicht so sehr um das Paradies, sondern eigentlich mehr um den
Gerechtigkeitsapsket. Es ist nun mal Fakt, dass in dieser Welt viele
Verbrecher mit ihren Verbrechen davonkommen, während unschuldige Menschen
"bestraft" werden, z. B. als Opfer von Umständen, für die sie eigentlich
nichts können oder weil sie unschuldig verurteilt werden oder ähnliches.
Uns allen dürften private, aber auch Beispiele aus der Geschichte präsent
sein, in denen das zutraf. Die Welt in der wir leben folgt offensichtlich
*keinen* moralischen Gesetz. Jedenfalls keinen, das man so ohne weiteres
erkennen könnte.
In dieser Situation kann die Vorstellung eines Gerichtes doch einen
gewissen Seelenfrieden befördern. Das Gericht muss natürlich kein
christliches sein, es wäre auch so etwas wie das ägyptischen Totengericht
vorstellbar oder eben Karma.
Ich *vermute*, dass solche esoterischen Vorstellungen von Wiedergeburt und
Geistern, die als Strafe auf der Erde bleiben müssen, auch deshalb so
beliebt sind, weil sie dieses psychologische Bedürfnis nach einer *moralischen
Kausalität* in der Welt befriedigen.
Das hat wohl schon manche Leute davor bewahrt in den Zynismus abzugleiten.
(Zynismus ist etwas anderes als die "freigeistige" Infragestellung der
Moral oder philosophischer Amoralismus. Ein Freigeist wird z. B. darauf
bestehen, dass die Wertvorstellungen der Gesellschaft, in der er lebt,
falsch sind und dabei einen mehr hedonistischen oder exzentrischen
Lebenswandel führen; doch der Zyniker glaubt im Grunde immer noch an
gewisse Werte, nur hat er eben die Idee, dass diese in der Welt nicht
umsetzbar sind. Es ist klar, dass das psychologisch ganz andere Folgen hat.)
Das ist meines Erachtens mit ein Grund, warum viele Leute an ihren Glauben
als Basis der Moral festhalten wollen. Eine streng "weltliche" Moral würde
sie vor Probleme stürzten. Es mag sein, dass man dann argumentieren kann,
dass man das Böse dennoch verfolgen soll, wo man es erkennt und dabei eben
in Kauf nimmt, dass einige Unschuldige verurteilt werden und einige
Schuldige davonkommen. Das ist aber eine rein nationale Argumentation und
kann jemanden, der beispielsweise 3 Jahre lang unschuldig im Gefängnis sass
und dafür bis heute sozial ausgegrenzt wird, nicht befriedigen.
Wer‘s nicht glauben will, schaut zum Nahen Osten,
schaut in die Höllen
degenerierter, von Materialismus/Kapitalismus zersetzte Gesellschaften,
hört sich aberdutzende Geschichten aus Ehehöllen an; oder begibt sich in
die Fänge moderner Medien (soz. Netze, TV etc.). Das hat schon irgendwie
Endzeitcharakter. Für mich als Techniker ist das relativ einfach zu lösen:
„Reset“ und Neustart! Das BIOS ist unglaublich grossartig programmiert; für
dann wieder zu entwickelnde „APPS“ werden künftige Generationen
verantwortlich sein, ggf. mit überwiegend „himmlischen Programmen“.
Bester Gruß an Dich und in die Runde! Karl
Ich sehe den Materialismus in diesem Sinne eigentlich nicht groß als
Problem. Natürlich haben materielle Werte eine gewisse Bedeutung.
Um die Sache noch ein wenig zu überspitzen: *Wenn wir die Welt neu starten
würden, dann wäre es vielleicht richtig, dies auf Basis einer
materialistischen Moral zu tun*.