Am 22.04.2019 um 11:43 schrieb Rat Frag:
Am Sa., 30. März 2019 um 04:08 Uhr schrieb K. Janssen
<janssen.kja(a)online.de>de>:
Angesichts dessen und weiterer irdischen Unbilden
könnte die hier aufgeworfene Frage, warum Menschen an abstrakte Entitäten glauben,
ursächlich eine einfache Antwort haben: weil Menschen sich aus dem Jammertal der
diesseitigen Welt in das Paradies eines Jenseits wünschen, das ihnen seit Zeiten - wohl
unter gewissen Bedingungen – von jenen verheißen wird, die darüber hinaus die Existenz
eben einer transzendenten Entität proklamieren. Jenseitiges wähnen, beschwören, verheißen,
predigen und daran glauben; seien es Geister, Götter, sei es ein einiger Gott.
Was
ist mit "Menschheit", Zahlen oder der ewigen, absoluten Wahrheit?
Der Gedanke an sich klingt sehr nietzscheanisch. Dieser hat wohl
ähnliches geschrieben. Die Welt ist eine Welt des Wandels, die Suche
nach ewigen, ungeschichtlichen Tatsachen ist nur der Wunsch etwas
konstantes zu finden innerhalb davon. Auf der anderen Seite ist
Wahrheit auch ein mächtiger Trost. (Siehe "Wahrheit und Lüge im
Außermoralischen Sinne" und die Schrift über Heraklit.)
Ausgehend von der Frage nach dem Glauben des Menschen an abstrakte
Entitäten (diese, von irdischen Akzidentien abstrahiert, durchaus als
jenseitig-transzendent geglaubt) hatte ich die anthropogenetischen wie
grundsätzlich mentalen Voraussetzungen für spirituelles und religiöses
Empfinden beleuchtet. Darüber hinausführend kommen dann neben der Frage
das „Warum“ des Glaubens, eben auch die von „Menschheit, Zahlen oder der
ewigen, absoluten Wahrheit“.
Vom immer noch weit verbreiteten Irrtum abgesehen, unsere Lebenswelt
würde sich in ein blankes (materielles) Diesseits und ein (wie auch
immer geartetes, geistiges) Jenseits unterteilen, treibt dieses „warum“
den Menschen von frühester Kindheit bis ins Alter um: Die üblich
kindliche Frage „Mama, warum ist Zucker süß?“ ist faktisch ebenso wenig
spontan zu beantworten wie definitiv Leipniz‘ bedeutungsschwere Frage
„warum gibt es etwas und nicht vielmehr nichts?“, also die Frage nach
"Menschheit, Zahlen oder der ewigen, absoluten Wahrheit."
Was hat es also auf sich mit ewig, absoluter Wahrheit? Für mich
persönlich hat das überwältigende Bedeutung, umso mehr, als ich von
ihrer Existenz als Numen, einer transzendenten raumzeitlich
ausdehnungslosen Entität überzeugt bin und das (sinngemäß) wie C.G. Jung
(bisweilen dem Agnostizismus anhängend bezichtet) ausdrücken wollte: Ich
möchte nicht (blind) an ein Göttliches glauben müssen, sondern davon
überzeugt sein.
Diesbezügliche Überzeugung jedoch erwächst (wenn überhaupt)
unvermeidlich aus einem (sozialisierten) Glauben. Ist und bleibt es bei
blindem Glauben und seinen Folgen, wird man bei näherer Betrachtung der
Szene zwangsläufig auf Nietzsche stoßen; und so halte ich es mit ihm
(insofern ist obig zitierte Anmerkung sehr zutreffend!).
Sinngemäß wiedergegeben nun seine Sichtweise auf Katholiken, wonach
diese alle so unerlöst aussehen. Ich denke, Glaubende anderer
Konfessionen stehen dem (bis heute) nicht nach. Der sie erlösen sollende
Gott bleibt ihnen verborgen. Sie wollen (wie Thomas, ungläubig ob der
Auferstehung Jesu) den Finger an die Körperlichkeit Gottes legen.
Vergeblich! Vergeblich auch die unzähligen Fragen nach dem "Warum" im
Problemfeld der Theodizee.
Nietzsches lebensnah-pragmatische Aussage „Wer ein Warum zu leben hat,
verträgt fast jedes Wie“ trifft den Punkt, warum sich religiöses Glauben
entwickelt und vor allem, warum es ein Leichtes ist, die eingeborene
Spiritualität des Menschen in einen kollektiv-institutionalisierten
Glauben zu transformieren. Dass sich die daraus entstandenen Religionen
bzw. Religionsgemeinschaften durch hinreichend ausgebildete
Organisationsstrukturen institutionalisiert haben, ist Voraussetzung für
ihr Überdauern, durchaus auch verbunden mit vielen Vorteilen für
religiös geprägte Gesellschaften.
Nachteilig, sträflich hingegen die durch Kanonisierung und
Dogmatisierung in (Glaubens-)Gemeinschaften oktroyierte
Jenseitssehnsucht und Lebensfeindlichkeit sowie die Erniedrigung des
Menschen (als nichtige, erlösungsbedürftig Sündige). Und wiederum
zeigen sich hochaktuell die Auswirkungen derartiger Indoktrination eines
blinden Glaubens, zudem inszeniert als wohl kalkuliertes Verbrechen.
Wer wollte angesichts dessen nicht bei Nietzsche sein?: „Gott ist tot!
Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die
Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher
besaß, es ist unter unseren Messern verblutet.“
Die von Menschen erdachten „Gottheiten“ überdecken das Wesentliche, die
„ewige, absolute Wahrheit“:
„Das ist es nicht, was uns abscheidet, dass wir keinen Gott wieder
finden, weder in der Geschichte, noch in der Natur, noch hinter der
Natur, – sondern dass wir, was als Gott verehrt wurde, nicht als
‚göttlich‘, sondern als erbarmungswürdig, als absurd, als schädlich
empfinden, nicht als Irrtum, sondern als Verbrechen am Leben. Wir
leugnen Gott als Gott. Wenn man uns diesen Gott der Christen bewiese,
wir würden ihn noch weniger zu glauben wissen.“ (Antichrist)
Nietzsche zeigt in der Figur des „tollen Menschen“ die Zusammenhänge
auf, die den meisten Menschen bis heute nicht verständlich sind. Es ist
Poppers „Tappen im Dunklen“. Doch wer sollte der tolle Mensch sein, der
„am hellen Vormittage eine Laterne anzündete“ um uns den Weg zu ewiger,
absoluter Wahrheit zu weisen. Sollen es wiederum Seher, Propheten oder
neue Religionsstifter sein?
Wie treffend doch Nietzsche!: „Ich komme zu früh, ich bin noch nicht an
der Zeit. Dies ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert, – es
ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen.“
Es erfordert (lebensbejahende) Bewusstheit, um „ewige, absolute
Wahrheit“ zu erkennen. Bewusstheit setzt Bewusstsein voraus. Was aber
ist Bewusstsein?!
Ich glaube nicht daran, dass gegenwärtig auch nur ein einziger Mensch
mit derzeit verfügbarem Wissen und entsprechend sprachlichen Mitteln
eine naturwissenschaftlich haltbare Erklärung für Bewusstsein hat. Damit
soll keinesfalls gesagt sein, dass Naturwissenschaft grundsätzlich nicht
geeignet sei, grundlegende Erkenntnisse zu Phänomenen wie Bewusstsein
etc. und damit in Verbindung stehenden Verhaltensweisen des Menschen
hinsichtlich seiner (tiefen)psychologischen Konditionierung sowie seiner
genetischen Prägung zu gewinnen. Es ist lediglich eine Frage der Zeit,
bis ein von klerikal-gesellschaftlichen Tabus befreites, weltweit
vernetztes, interdisziplinär angelegtes Wissenschaftskollektiv ein für
breite Gesellschaftsschichten zugängliches und hinreichend
verständliches Menschen- und Weltbild entworfen haben wird. Bis dahin
(und vermutlich darüber hinaus) wird weiter spekuliert, verheißen,
gepredigt und geglaubt werden, wird man daher die Irrationalität
fälschlich vermittelter Religion und damit verbundene
Jenseits-Phantasien sowie deren verheerende Auswirkungen ertragen müssen.
Vor vielen Jahren schrieb ich hier, dass erst eine grundsätzliche
Auseinandersetzung mit dem Informationsbegriff zu einem signifikanten
Erkenntnisgewinn führen wird, also hinsichtlich o.a. Leipniz‘scher
Fragestellung: „warum gibt es etwas und nicht vielmehr nichts?“
Es ist die Begrifflichkeit von Information, die sich unabweisbar in die
Denkmodelle augenblicklich stattfindender Bewusstseinsforschung drängt:
Der Versuch, diverse Informationstheorien zu vereinen, die Abklärung
der Abhängigkeit zwischen Thermodynamik und Information, die Bedeutung
von Information bei neuronalen Prozessen (IIT), Informationsverarbeitung
durch Quantenrechner. Das alles und viel mehr noch steht unter der
Maxime: Alles was ist, ist möglich. Alles was möglich ist, ist.
Bester Gruß an Dich und in die Runde! Karl