Am 02.09.2018 um 15:15 schrieb Rat Frag via Philweb:
[Philweb]
Wenn es um Aufklärung „zersetzende Analytiker“
gehen soll, dann betreiben ja
m.E. Horkheimer-Adorno geradewegs pure Analytik und Zerlegung, eben in Art
psychoanalytisch-soziologisch ausgerichteter Kritik an der Aufklärung bzw.
deren Folgen.
Ich versuche das Missverständnis mal auszuräumen:
1. Analyse bedeutet ja letztlich "Auflösung", was ich hier, leicht
polemisch, mit Zersetzung angegeben habe.
2. Für den "amoralischen Aufklärer" oder den "deskriptiven
Analytiker"
sieht es so aus:
Er sieht ein moralisches Gebot, z. B. "du sollst nicht stehlen" und
erkennt, dass sich viele Menschen daran gebunden fühlen und
es als notwendig angesehen wird.
gerade etwas in Zeitnot geraten, nutze ich den (von mir ansonsten nicht
so geschätzten) Zitatationsstil:
Ich glaube nicht, dass sich zwischen uns ein Missverständnis ergeben
hat. Meine Antwort auf Deine Frage zum Thema hat sich insofern
verselbsständigt, als ich (wie schon geschrieben) unter den "zwei Seiten
der Aufklärung" einen ganz anderen Ansatz (als eben den expliziten
Aspekt amoralische Aufklärer, Analytiker vs Ethiker usf.) gewählt habe.
Wenn es Dir, so wie es mir scheint, vornehmlich um die Frage von Moral
und deren div. Kategorisierung geht, war dies bestenfalls implizit in
meinem (unglücklicherweise sehr umfangreichen) Beitrag behandelt.
Themaverfehlung könnte man es nennen. Vielleicht hat meine Einlassung
dennoch zum Nachdenken über eben die zwei Seiten von Aufklärung
angeregt. Mir jedenfalls hat es neu erschlossene Erkenntnis gebracht,
mich wieder einmal mit DdA von Horkheimer-Adorno zu beschäftigen; habe
Zusammenhänge begriffen, die (als solche hochaktuell) mir zu früheren
Zeiten verborgen waren und finde dennoch bestätigt, warum ich schon vor
Jahrzehnten von diesem Werk gefangen war.
Darauf klärt der Analytiker, warum man so ein Gebot in
unserer
Gesellschaft aufgestellt hat
und auch, warum sich die Individuen daran gebunden fühlen.
Klassisches Beispiel ist die "Über-Ich"-These der Psychanalyse. Die P.
erklärt die Moral mit gewissen Sozialisationserfahrungen. Insbesondere
der Vater spielt bei der Herausbildung des "Über-Ich"s eine große
Rolle. Die Psychoanalyse kann also ganz gut erklären, wieso sich ein
Mensch an gewisse moralische Gebote gebunden fühlt. Doch die P. kann
eben erklären, welche moralischen Gebote richtig sind. Ist nicht
Gegenstand der Theorie.
Wenn jetzt ein Ethiker darauf besteht, dass gewisse Gebote an sich
doch richtig sind und andere nicht, dann wird der P. einfach mit den
Achseln
zucken und erklären, wieso der Ethiker von der universellen Gültigkeit
überzeugt ist.
Ein Kriterium, ein gutes von einem bösen Über-Ich zu unterscheiden
kann nicht aus der P. hergeleitet werden. Ein P. kann höchstens den
Widerspruch zwischen
seinen Über-Ich und dem eines andere Individuums feststellen oder
urteilen, dass das Überich der jeweiligen Person dieser selbst
schadet.
(Das trifft übrigens im grunde auch für Adler und Reich zu, soweit ich
gelesen habe.)
Der Analytiker zersetzt die Moral also in einzelne Bestandteile -
Sozialisation des Individuums, Herausbildung des Privateigentums
evoltuionäre Stammesgeschichte und die Wechselwirkugn davon - , doch
keines dieser Elemente
in die die Moral aufgelöst wird, ist an sich wiederum normativ.
Ein Ethiker, z. B. Kant, verfolgt ja ein ganz anderes Programm.
Der versucht aus dem kategorischen Imperativ eine Moral abzuleiten,
die dann wiederum allgemeingültig und vernünftig wäre.
Diese Theorie ist deshalb NORMATIV.
Die hinter diversen Moraltheorien stehenden Psychologismen sind für mich
wesentlich interessanter, als eben die Kategorisierung ersterer. Du
wirst es bemerkt haben. Darin begründet sich aber geradewegs der starke
Ausdruck in der psychoanalytisch-soziologisch ausgerichteten
Gesellschaftskritik von DdA.
Das Unheil der
Aufklärung liegt nach H-A in einer auf Beherrschung und
Unterwerfung der Natur ausgerichteten instrumentalisierten Vernunft.
Ich anerkenne
ja, dass die instrumentelle Vernunft einige ernsthafte
Probleme auf moralischen Sektor hat.
Dennoch ergibt sich die Frage: Was ist die alternative zur
instrumentellen Vernunft? Wollen wir der Vernunft selbst wieder
abschwören oder normative Sätze aus der Vernunft ableiten? Letzteres
scheint mir dann die Herausforderung zu sein.
Das würde bedeuten, dass es "Postulate der reinen Vernunft" geben muss.
Eine mögliche Antwort gibt Horkheimer selbst: "Das Fehlen eines
vorbestimmten Auswegs ist gewiss kein Argument gegen einen
Gedankengang". Ich denke, es gibt keine Alternative zur Vernunft;
allemal aber zu eben zu ihrer kritikwürdigen instrumentellen Ausprägung,
die sich als ein formalistisches, eben instrumentelles Denken, als rein
technologische Rationalität zeigt. Dadurch wurden und werden immer noch
weitere Teile der Gesellschaft Produktions- und Marktmechanismen
unterworfen, wo der arbeitende Mensch seiner Profession (wie etwa noch
im Handwerk zu finden) beraubt, seine Arbeitsleistung nur noch als
Mittel zum Zweck (also der Produktion von Massenkonsumgütern und
Vermehrung von Kapital in den Händen Weniger) sehen muss.
Damit werden auch die zwischenmenschlichen Beziehungen immer mehr von
der kalten Rationalität kapitalistischer Marktbeziehungen bestimmt.
Pure Zweckrationalität, ausschließlich berechnendes Denken und Egoismen
charakterisieren heutige Industriegesellschaften, Diese Produktions- und
Erwerbsformen werden als alternativlose Mechanismen und Werte eines
Neoliberalismus proklamiert. Hier denke ich, gäbe es dennoch
Alternativen, die den arbeitenden Menschen wieder wirkliche
Wertschöpfung sowie die Würde ihrer Profession zurückgeben.
Ich bleibe
dabei: Emanzipation der Menschheit scheitert dort an der
Dialektik des Fortschritts unserer aufgeklärten Moderne, wo die daran
geknüpfte Repression ihres ethischen Anspruchs das Verhältnis von
instrumentalisierter Gesellschaft und individueller Freiheit bestimmt;
Repression eben durch fragwürdige Gesinnungsethik meist in Ausprägung von
Scheinmoral oder aggressiver Einforderung realitätsfremder Sozialutopien.
Im
Umkehrschluss würde dann die Emanzipation nicht scheitern, wenn das
Verhältnis nicht auf diese Weise bestimmt wird?
Demgemäß verbietet sich ein
Umkehrschluss.
Erstaunlich und befremdlich, wie ausgerechnet
sich einst
ökologischer Verantwortung verschrieben habende politische
Gruppierungen nur noch mit gesellschaftspolitischen Themen provozieren.
Dieser
Aussage kann ich mich nicht anschließen. Dieselverbot und
"Veggy Day" lassen diese Schlussfolgerung meines Erachtens nicht zu.
Eher wird die Umweltpolitik zum Teil verwendet, um eben das
Selbststimmungsrecht des Individuums einzuschränken.
(Bevor das wieder kommt: Ja, nicht jede Einschränkung der persönlichen
Freiheit ist illegitim, aber man muss zunächst feststellen, dass hier
eine Einschränkung vorliegt. Ein vielleicht schmerzlicher Verzicht.)
Dieselverbot, Veggy Day, (Trans)Gender, "pc", Christopher Street usf.;
für mich sind das keine Problemfelder, der sich derartige politische
Gruppierungen vornehmlich annehmen müssten, wenn es ihnen wirklich um
umwelterhaltende Maßnahmen resp. dementsprechend politische
Veränderungen geht. Bei "Dieselverbot" mag man angesichts dieser Aussage
stutzen. Doch auch hier wird die ideologisch verbrämte Weltfremdheit
dieser Leute sichtbar. Unbenommen des verbrecherischen Betrugs der
Abgasmanipulation, ist es einfach nur blauäugig, ein mehr oder weniger
sofortiges Verbot dieser Antriebstechnik erzwingen zu wollen (oder
sollte man deren Bio-Bananen mit Brieftauben in grüne Läden befördern?)
und niemals wird die gewählte Art der Agitation dagegen wirksam sein.
Hier würde es helfen, wenn Fachleute (nicht politische Mandatsträger als
Biologen etc.) grüner Denkrichtung sich mit Fahrzeugingenieuren
zusammensetzen und mit konstruktiven Ideen dazu beitragen, das
Deutschland weiterhin zu den führenden Herstellern von wirklich!
umweltfreundlichen Fahrzeugen zählen kann. Damit keine Missverständnisse
aufkommen: Ich leiste mir den "Luxus" eines E-Autos für den Nahbereich
(bei dem es besonders auf Umweltschutz ankommt und könnte mich
tatsächlich ärgern über andere Grünlinge, deren dieselbetriebene SUVs
ich auf den Parkplätzen vor Denns &Co sehe. Auch hier Doppelmorlal:
Wasser predigen, selbst Wein saufen).
Meines
Erachtens führen Ansätze zur Lösung gesellschaftspolitischer,
weltwirtschaftlicher und sonstiger globaler Problematiken eher über
verantwortungsethisch angelegte Wertvorstellungen, dabei jedoch beachtend,
nicht in die Fallen eines Konsequentialismus zu geraten.
Kannst du das bitte näher
erklären?
Meine Abscheu gegen eine bestimmte (von mir hier beschriebene) Art der
Gesinnungsethik führt mich fast zwangsweise zu verantwortungsethischem
Denken. Es ist lange her, als ich Studienarbeiten, Referate über
Technikfolgeabschätzung verfasste und weiß offen gesagt nicht, wo man
heute diesbezüglich steht. Aber beizeiten können wir uns hier darüber
austauschen. Es wäre ein lohnendes Thema. Denn eines wird sich nicht
geändert haben: Der Mensch mit seiner Technikentwicklung ist immer dem
Irrtum unterworfen (unausweichlich Versuch und Irrtum). Letztlich führt
immer nur ein iterativer Entwicklungsprozess zu hinreichend praktikablen
Lösungen. Einen erkannten Irrtumsweg jedoch bewusst nicht zu verlassen,
würden Christen Sünde nennen können. Umweltsünden resultieren aus
solchem Verhalten ohne Ende!
Ich verstehe unter "Konsequentionalismus" eine Ethik, die eine
Handlung anhand ihrer Konsequenzen beurteilt.
Darunter fallen dann so unterschiedliche Ansätze wie "der Zweck
heiligt die Mittel" - es ist nur die Frage, in wie weit der Zweck
durch die Mittel erreicht wird - bis hin zum modernen
Präferenzen-Utilitarismus.
Wie gesagt, das könnte eine sinnvolle Fortführung im weiteren Sinne des
Themas sein.
Mit bestem Gruß!
Karl