Hoffe mal, dass ich noch nicht im Spamfilter gelandet bin.
Am 16. Januar 2017 um 23:30 schrieb Claus Zimmermann:
Am 16.01.2017 15:03, schrieb Rat Frag:
"Dichtung und Wahrheit".
Die "Wahrheit" (oder das, was man vorläufig als wahr akzeptiert) hat
ja als Gegensatz nicht nur die Dichtung, also die Fiktion (wobei es
noch andere Formen von Fiktion gibt als Dichtung, aber lassen wir das
mal), sondern auch die Lüge, den Irrtum oder - besonders gefährlich
(ich selbst bin zahllose Male drauf reingefallen) - die Halbwahrheit.
Diese Fälle unterscheiden sich alle ein bisschen, aber immer zeichnen doch
die Sätze ein Bild einer Lage, das ganz oder teilweise zutreffen könnte -
was bei erfundenen Geschichten aber nicht behauptet wird - oder nicht,
lassen einen also nicht daran zweifeln, daß Sätze eben das leisten können.
Fiktion, z. B. ein Krimi ist zwar in wortwörtlichen Sinne falsch, aber
das bedeutet durchaus nicht, dass damit keine Wahrheiten transportiert
werden können.
Natürlich liegt der Fall jeweils anders. Eine Lüge z. B. ist klar
moralisch zu behandeln, ein Irrtum, zumindest normalerweise, nicht.
Eine Halbwahrheit kann wie eine Lüge sein.
Vielleicht steckt bei Nietzsche dahinter, daß man sich
einer Lüge bewusst
ist und nur andere reinlegen möchte, während man sich im Fall der durch
nichts zu erschütternden Überzeugung mit Erfolg selbst in die Tasche gelogen
haben kann?
Da gab es tatsächlich so eine Aussage, aber ich weiß nicht mehr, wo.
Übrigens bezweifle ich, daß irgendjemand ernsthaft auf
Tatsachenbehauptungen
im alltäglichen Sinn verzichtet.
Was sind denn Tatsachenbehauptungen im alltäglichen Sinne?
Ich würde vorschlagen: Es ist einfach eine Aussage, die behauptet wird.
Die Frage lautet, ob der philosophische und der alltägliche Sinn
soviel anders sind.
Macht uns
diese Ansicht aber nicht blind dafür, dass
diese "Tatsachen" vielleicht selbst falsch sein könnten?
Nein, gerade nicht, finde ich. Wenn ich nicht weiß, unter welchen
Bedingungen eine Behauptung oder auch nur etwas, das so aussieht wie eine,
für wahr gehalten wird, kenne ich ihren Inhalt nicht und wenn ich es weiß,
weiß ich auch, wie sie widerlegt wird, d.h. lasse eine Widerlegung im
Prinzip zu.
Ich habe ganz bewusst "Tatsache" in Anführungszeichen gesetzt.
Deine Argumentation geht von der Verifikationshypothese aus. Die
Bedeutung eines Satzes zu kennen, heißt zu wissen, unter welchen
Bedingungen er wahr ist. Von da aus ist es nur ein kleiner Schritt, zu
sagen, wenn ich weiß, wann der Satz wahr ist, so weiß ich doch auch,
wann er *falsch* ist.
Aber wann ist ein Satz denn wahr? Wenn er eine Tatsache ausdrückt, das
heißt, wenn er eine "vorliegende Proposition" ausdrückt? Wenn eine
Theorie aufgestellt wird, die auf diese Aussage hinausläuft, dann
haben wir es mit der philosophischen Theorie der "Tatsachen" zu tun.
Man kann z.B.
absolut sicher sein, daß es nach einem Blitz immer donnert, und zwar wenn
man nur in diesem Fall auch von einem Blitz redet. Das gehört aber dann
natürlich nicht in ein Lehrbuch der Meteorologie, sondern ins Wörterbuch.
Um beim konkreten Beispiel zu bleiben: Es gibt Blitze, nach denen es
kein Donnern gibt. Sie sind sogar zahlreicher als "normale" Blitze
("Erdblitze"), das sind die Blitze zwischen den Wolken, die also
niemals zur Erde kommen ("Wolkenblitze").
Für einen Meteorologen macht die Definition eines Blitzes erst in dem
Augenblick Sinn, wenn man ihn gegen ein anderes Phänomen abgrenzen
muss. So werden "Erdblitze" definiert als ein Potentialausgleich
zwischen Erde und Wolken, ein "Wolkenblitz" ist ein Ausgleich zwischen
den Wolken.
2. Eine
Erklärung in Form einer Theorie, die bestimmte Eigenschaften
erfüllen musste. Möglicherweise musste sie die Tatsachen _logisch_
ableiten können.
Ich würde hier statt von Erklärungen lieber von
Beschreibungsmethoden reden.
Mir macht es nichts aus. Doch nur aus Neugier gefragt: Wieso hat meine
Kurzzusammenfassung deiner Meinung nach den Namen "Erklärung" nicht
verdient?
Wäre es vielleicht in Ockhams Sinn, zu sagen: die
einfachste ist die beste!
Und welche Theorie ist die einfachste?
Es gibt ja verschiedene Arten, wie man Ockham verstehen kann. Zum
Beispiel als "ontologische Sparsamkeit", als Wunsch nach möglichst
kurzen Theorien oder sonst wie.
Das Problem hätte ich bei Beschreibungsmethoden nicht.
Die kann man sich im
Gegensatz zu Tatsachen aussuchen.
Besteht dann das selbe Problem nicht weiter, indem man die Tatsachen
von ihren Beschreibungsmethoden abgrenzen möchte?
Ernst Mach
kam, so verstehe ich seine Philosophie jedenfalls, aufgrund
solcher Gedanken zur Schlussfolgerung, dass wir eigentlich nur
Sinnesdaten als grundlegende Tatsachen behandeln konnten, ohne dabei
schon eine Theorie über diese Sinnesdaten selbst vorzulegen (ob sie
also eine optische Täuschung waren oder die Realität direkt
abbildeten).
Zu sagen "ich kann mich zwar über den Gegenstand irren, aber nicht über
meine Eindrücke, also ist nur das das Reich der Tatsachen" wäre auch ein
Missverständnis. Man redet von einer Illusion, wenn das eigene Erleben nicht
mit dem anderer übereinstimmt. Aber wie sollte es "nicht mit sich selbst
übereinstimmen" oder was sollte das heißen?
Du sprichst einen sehr wenigen Punkt an. Und der Punk ist, um
Illusionen von korrekten Beschreibungen abzugrenzen, braucht man
bereits eine gewisse Theorie. Eine Theorie der Wahrnehmung oder
Erkenntnis.
Eine Illusion im Sinne einer optischen Täuschung ist ja erst mal was
objektives. Wenn wir beide etwa einem Penrose-dreieck gegenübersehen,
dann sehen wir beide das selbe. Erst wenn wir den Blickwinkel ändern,
sieht es Objekt anders aus.
Eine Halluzination wiederum wäre es, wenn ich glaube irgendetwas zu
sehen, du (und der Rest der Menschheit) aber nicht. (Die meisten
Halluzinationen sind akustisch, aber das nur nebenbei.)
Über meine Eindrücke irre ich mich also nicht. Nur habe ich
möglicherweise diese Eindrücke irreführend interpretiert.
Um dies zu erkennen, brauche ich dann eben eine Vorstellung davon, wie
meine Eindrücke mit den tatsächlichen Gegenständen der Aussenwelt in
Verbindung stehen. Zumindest solange man wegen Ockhams Rasiermesser
nicht vollständig auf den Gedanken von Gegenständen verzichtet und nur
noch über Eindrücke reden will. Wobei diese *Beschreibungen* dann
wahrscheinlich wesentlich komplizierter sind.
Erinnerungen dringen in diesem Sinne genauso wie "frische Eindrücke"
ins Bewusstsein.