Am 14.09.19 um 08:54 schrieb Rat Frag:
Am Sa., 7. Sept. 2019 um 23:21 Uhr schrieb Claus Z.:
Die Verneinung ist doch dadurch definiert, daß
sie den Wahrheitswert
einer Aussage umkehrt.
Zu diesem Thema hat Wittgenstein schon mal in den
Philosophischen
Untersuchungen etwas geschrieben. Er erkannte nämlich bereits, dass es
anscheinend zwei Typen von Negation in unserer Sprache gibt. Einmal
eine Art Spiegel, in dem das Gegenteil wahr ist und ein anderes Mal
eine Art "Nein".
"Ich habe nichts... nicht getan" würde wohl niemand, der nicht grade
Logiker, Philosoph, Informatiker oder Mathematiker ist, so
interpretieren, dass diese Person den Sachverhalt bejahen will.
Dagegen "Du hast nicht unrecht" sagen will, dass da was dran ist.
Was die Logik angeht, kenne ich natürlich die Definition der Negation
¬A ist wahr gdw. A falsch ist und umgekehrt.
Es ist natürlich kein Problem und aus den Umständen ohne weiteres
ersichtlich, wenn "nein, nein!" nicht "ja" heißen soll. Zeichenregeln
sind unsere Konstrukte und können geändert werden. Daß ein Satz nicht
gleichzeitig im gleichen Sinn wahr und falsch sein darf, ist aber eine
so fundamentale Regel, daß wir diese Diskussion abbrechen müssten, wenn
wir uns nicht mehr daran hielten, denn wir könnten dann keine Aussagen
mehr machen, also Sätze äussern, die wahr oder falsch, aber nicht beides
gleichzeitig im gleichen Sinn sind.
Wer also einer
Aussage und ihrer angeblichen Verneinung gleichzeitig in
gleichem Sinn den gleichen Wahrheitswert zuschreibt, hält sich nicht
an diese Verabredung.
Ich glaube, der Punkt liegt eher bei den Wahrheitswerten.
Was ist, wenn es eine Aussage gibt, die mit Recht sowohl wahr als auch
falsch sein kann?
In der Mathematik oder in der Justiz betrachten wir mit einigen Recht
nur solche Systeme, die konsistent sind. Das bedeutet aber nicht
zwingend, dass alle Beschreibungen der Realität so sein können.
Wie soll eine
Zeichenregel durch Tatsachen bestätigt oder widerlegt werden?
Als Beispiel für einige Dinge, bei denen das der Fall
sein könnte:
"Der Satz ist falsch", Selbstbewusstsein und Ich-Identität,
Willensfreiheit als eng verwandtes Problem und vielleicht sowas wie
das Doppelspaltexperiment. Grade in Bezug auf die Willensfreiheit
glaube ich, dass dieser Gedanke durchaus fruchtbar sein kann.
Zu "Der Satz, den du gerade vor Augen hast, ist falsch": Er ist durch
die Selbstbezüglichkeit so konstruiert, daß er wahr ist, wenn er falsch
ist und falsch, wenn er wahr ist. Er ist also in jedem Fall sowohl wahr
als auch falsch. Das ist aber in unserer üblichen Ausdrucksweise, an die
wir uns auch jetzt gerade halten, ein Formfehler. Ein Satz kann unter
der Bedingung der Falschheit eines anderen wahr sein. Dann muß es sich
aber um zwei verschiedene Sätze handeln. Mit Tatsachen hat das nur
insoweit etwas zu tun, als es sich um "sprachliche Tatsachen" handelt.
Nicht viel sinnvoller kommt mir übrigens "der Satz, den du gerade vor
Augen hast, ist wahr", vor. Mit anderen Worten: er ist wahr, wenn er
wahr ist und falsch, wenn er falsch ist. Danke für die Information, kann
ich da nur sagen.
Zum "Selbstbewusstsein": Dieses Wort hat unproblematische Facetten, die
auch philosophisch uninteressant sind oder man versteht darunter
vielleicht das Bewusstsein der eigenen Existenz als einer der wenigen
Tatsachen, an der kein Zweifel möglich ist. Wenn man genauer hinsieht,
scheint sich das "ich existiere" aber in Luft aufzulösen.
Denn "ich" ist nicht ohne Zusatzinformation, indem man sich z.B.
akustisch oder visuell zeigt, verständlich. Wenn ich gefragt werde "wer
ist da?" und stumm einen Zettel unter der Tür durchschiebe, auf dem
"ich" steht, ist das eher nichtssagend.
Und "es gibt Säbelzahntiger" wird dadurch bewiesen, daß ein Exemplar der
Gattung präsentiert wird.
Setzen wir diese beiden Erklärungen in "ich existiere" ein, erhalten wir
"ich kann dir die Person zeigen, die ich dir gerade zeige".
Entsprechendes gilt für "ich existiere nicht".
Zur Ich-Identität: Was könnte das sein? Zu meiner Identität gehört
alles, was ich in einer Antwort auf die Frage "Wer sind Sie?" erwähnen
würde. Wenn ich das alles vergessen würde, könnte ich aber immer noch
"ich" sagen.
Zum Doppelspaltexperiment, mit dem ich mich nun wirklich nicht auskenne:
Wenn mir gesagt würde, man habe beobachtet, etwas sei gleichzeitig und
im gleichen Sinn der Fall und nicht der Fall, würde ich das sprachlich
nicht verstehen. Wenn mir gesagt würde: es kommt drauf an, ob du
hinsiehst oder nicht, würde ich denken: merkwürdig, aber sprachlich
nicht unverständlich. Wenn mir gesagt würde, daß man, ohne hinzusehen,
Wahrscheinlichkeitsaussagen machen und in Versuchsreihen verifizieren
könnte, wäre das auch sprachlich verständlich. Ich würde auch einsehen,
daß Sätze des Typs "das und das ist so und so" unter diesen Umständen
eventuell unpraktisch sind.
Ich bleibe bei dem Punkt einen Augenblick lang
stehen:
Egal welche Handlung ein Mensch vollbracht hat - ob er heldenhaft
jemanden gerettet hat oder ein Mörder war - , wissenschaftlich, d.h.
psychologisch, soziologisch, verhaltensbiologisch usw., lassen sich
immer gewissen Gründe angeben, aus denen heraus er (oder sie)
gehandelt hat. Genauso wie in der Physik ein Physiker nicht eher ruhen
wird, bis er eine Theorie für ein Phänomen gefunden hat.
In der wissenschaftlichen Perspektive auf den Menschen gibt es keinen
Platz für den freien Willen, für autonom Entscheidungen.
Also unser Verhalten ist zwangsläufige Folge unserer Motive.
Welches Motiv bezeichnen wir als das überwiegende? Das, dem wir am Ende
gefolgt sind? Oder das, bei dem sich bei einer Messung im Oberstübchen
der stärkste Ausschlag am Messinstrument gezeigt hat?
Im ersten Fall folgen wir definitionsgemäß immer dem stärksten Motiv,
denn das ist ja das, dem wir folgen. Mit Determinismus hat das aber
natürlich nichts zu tun. Die Definition ermöglicht ja keine Vorhersagen,
sondern wir müssen abwarten, was die Person tun wird.
Im zweiten Fall könnte die Person auch einem anderen Motiv als dem
stärksten folgen. Wieder kein Determinismus.
Wenn ich aber nun weiß, dass gewisse Naturgesetze zu
einem Ergebnis
geführt haben, darf ich dann ernsthaft jemanden dafür verurteilen?
Ich glaube, dass wir es hier mit einen wahren Widerspruch zu tun
haben. Einerseits ist der Mensch eine komplexe elektro-chemische
Reaktion (1), die theoretisch durchaus durch Naturgesetze vorhersagbar
ist, andererseits ist er gleichzeitig und in der selben Art und Weise
auch der ethischen Urheber seiner Handlungen und voll verantwortlich.
Das Verhältnis von Ursache und Wirkung ist nicht mit dem von Motiv und
Handlung zu verwechseln.
Ich sehe es als Korrelation, die von einem zufälligen Zusammentreffen
nur dadurch zu unterscheiden ist, daß sie noch nie durch Erfahrung
widerlegt und für uns zu einer Selbstverständlichkeit wurde (siehe
Hume). Darin besteht die ganze Notwendigkeit des Zusammenhangs. Man kann
nicht sagen "es musste so kommen, alles andere ist undenkbar".
Ausgeschlossen ist es nur, wenn man Ursache und Wirkung in einem
einzigen Begriff zusammenzieht. Dann kann man z.B. sicher sein, daß zum
Blitz der Donner gehört, denn sonst wäre es ja kein Blitz. Man wüsste
allerdings nicht sicher, ob auf den ersten Akt des Blitzes auch der
zweite folgen würde. Es wäre nur eine terminologische Änderung.
Weil es sich
um eine Sprachform und nicht um eine Behauptung handelt, erscheint mir die Forderung nach
einem Beweis unangemessen.
Es gibt durchaus Denker, die dieser Sprachform zu
widersprechen
scheinen. Hegel etwa oder in der Mathematik die Intuitionisten oder
eben gewisse fernöstliche Religionen.
Nun muss ich zugeben, dass ich gegen Hegel auch immer gewisse
Vorbehalte habe. Ich vermute, dass da vieles künstlich aufgeblasen
wurde und insbesondere scheint mir seine Lehre aus anderen Gründen
gescheitert.
Sprachregeln dürfen geändert werden, siehe oben. In diesem Fall ist
das
aber ziemlich heikel.
Kleine Anmerkung zu 1:
Auch die Annahme von irgendwelchen Hyperraum-Energien,
nicht-ausgedehnten Substanzen oder dergleichen hilft uns nicht weiter.
Offensichtlich ist der Mensch in einem Kausalnexus gefangen.
Es stellt sich auch niemand die Frage, warum z. B. die alten Ägypter
nicht nach Amerika gereist sind oder keine Demokratie errichtet haben.
Das bedeutet, schon einem kleinen Kind ist klar, dass die Bedingungen
des alten Ägyptens eine Demokratie eher nicht zugelassen hätten.
Das heißt, sofern jemand nicht die Theorie vertritt, dass der Mensch
eine Art "metaphysischen Zufallsgenerator" in seinen Kopf hat, hilft
uns das wenig weiter. Auch soziologische oder psychologische
Erklärungen für Verhalten stellen eigentlich eine Gefahr für die Idee
des freien Willens dar.
Schreibe ich das hier, weil ich mich dafür entschieden habe oder als
die Wirkung von tausend Ursachen?
Meine Antwort wäre: Beides, auch wenn es sich ausschließt.
Mir scheint es ja weder bei seelischen, noch bei physikalischen
Vorgängen sinnvoll zu sein, zu sagen "es musste so kommen, alles andere
ist undenkbar".
Claus