Ich verstehe ja, daß die Zurückweisung der Frage nach Gründen als Zumutung empfunden wird.
Im Einzelfall ist sie das auch - wenn etwas behauptet wird, das mich ganz und gar nicht
überzeugt. Wenn nicht nach Gründen gefragt wird, kann das auch daran liegen, daß einem
diese Frage durch die Erziehung ausgetrieben worden ist und jemand anderer durch einen
spricht (wobei ich glaube, daß man, um sich nicht als Marionette sehen zu müssen, gerade
in diesen Fällen Gründe vorschieben wird - das ist ein psychologischer Aspekt).
Das heißt aber nicht, daß man einen Grund prinzipiell nur anerkennen könnte, wenn er
selbst auch wieder begründet wäre. Dann könnte man ihn nämlich nie anerkennen, weil man
bis zum Lebensende mit dem Begründen nicht fertig würde. Das ist kein psychologischer
Aspekt.
Wie unterscheidet man, ob die Frage nach einem Grund legitim ist oder ob man es mit einem
letzten Grund zu tun hat? Ich glaube, wenn eine Erklärung möglich ist, darf man auch
danach fragen. Wenn einem dagegen nur ein Beispiel präsentiert wird, in der Hoffnung, daß
man das dann schon richtig verstehen wird und wenn keine andere Erklärung möglich ist -
wozu sollte die Frage dann führen wenn nicht eben dazu? In diese Kategorie gehören auf
Sinneswahrnehmungen gehörende Urteile, ästhetische Urteile, wobei hier der Einfluß einer
Schulung und Verfeinerung (oder auch Deformation) nicht zu unterschätzen ist, die aber
nicht bei Null anfangen kann, sondern einfache Fähigkeiten voraussetzt, die man mit der
Farb- oder Geschmackswahrnehmung vergleichen könnte. Und bei ethischen Urteilen könnte es
ähnlich sein.
-------- Ursprüngliche Nachricht --------Von: Rat Frag via Philweb
<philweb(a)lists.philo.at> Datum: 26.04.17 22:20 (GMT+01:00) An: philweb
<Philweb(a)lists.philo.at> Betreff: Re: [Philweb] Eine Überlegung zu Humes Gesetz
[Philweb]
Am 17. April 2017 um 02:10 schrieb Claus Zimmermann <
Zimmermann.Claus(a)t-online.de>gt;:
Nietzsche meinte ungefähr, daß es die Schwäche einer
Haltung verrate, wenn
man sie für begründungsbedürftig hielte.
Ich meine, dass Machiavelli aus diesem Grunde geschrieben habe, der Fürst
solle keine Rechenschaft ablegen. Rechenschaft sei ein Zeichen von einem
Untergeordneten gegen einen Höheren. Der Fürst ist aber in seinem Staate
niemanden unterstellt, daher braucht auch keine Rechenschaft abgelegt zu
werden.
Nietzsche dagegen kann man eine tiefenpsychologische Deutung unterstellen.
Nietzsche ist zumindest teilweise eine Art Psycholog.
Nehmen wir an, jemand ist menschenfreundlich und
spendet für Arme, weil er
glaubt, daß das gut für die Entwicklung der Gattung ist,
Das ist aber eine Begründung. Wenn ich hinzufügen darf, sogar eine
bemerkenswerte, weil hier vom Wohl der einzelnen Menschen ganz abgesehen
wird, auf die "Gattung" bezug genommen wird.
dann hält er diese für ein höheres, vielleicht nicht
mehr
begründungsbedürftiges Gut als Menschenfreundlichkeit (ansonsten: viel
Spaß beim unendlichen Regress) und er wäre es vielleicht gar nicht mehr,
wenn man ihm zeigen würde, daß seine Voraussetzung nicht stimmt.
1. ich glaube, dass man in der Ethik irgendwann bei einer Prämisse landet,
die verworfen oder geglaubt, akzeptiert, werden kann. Es gibt aber
rafinierte Gedanken dagegen.
2. In der Philosophie sollte meines Erachtens immer weiter gefragt werden
dürfen. In der Politik, Wirtschaft, praktischen Handeln wird vielleicht
davon abgesehen. Dabei akzeptiert man dort aber auch einige Absichten, die
bei genaueren Hinsehen eigentlich nicht selbstverständlich sind.
*Man kann sich auf seine Haltung nur dann verlassen,
wenn er keinen Grund
für sie braucht, sondern einfach so ist oder sich so entschieden hat.*
Oder wie du sagst: es gibt keine Voraussetzung und kein Ziel, das man
notwendigerweise verfolgen muss.
Das ist ein interessanter Ansatz. Allerdings: Mir scheint er mehr
psychologisch als ethisch zu sein.
Wenn ich sage, ich folge nur derjenigen Maxime oder dem Wert, für den ich
keinen Grund brauche, dann tritt damit vielleicht der Einflus meiner
Erziehung klar hervor. Aber ist es auch das ethisch wahre?
Zumal ein Skeptiker argwöhnen würde, dass in verschiedenen Orten und
Zeitaltern ganz verschiedene Dinge begründungslos erschienen. Das merkt man
dann, wenn die Alternative gar nicht mehr diskutiert wird.
Zum Beispiel in der Antike ein Anarchismus, in der gegenwart über lange
Zeit das Losverfahren zur Vergabe von Ämtern.
Konkrete Gebote oder Verbote wie "du sollst nicht
ehebrechen/lügen/töten"
sind insofern etwas anderes als hier von Konsequenzen des Tuns oder
Unterlassens nicht die Rede ist, die jemand, der nicht nur an wohlwollende
Beurteilung durch einen imaginierten Vorgesetzten denkt, immer
berücksichtigen wird.
Einverstanden: Es sei nicht wünschenswert, dass jemand das Gute tut und das
Schlechte unterlässt, bloß weil er sich eine (jenseitige) Belohnung
verspricht.
Irgendetwas sagt uns, dass hier das ethische Denken möglicherweise noch
nicht angefangen hat oder wenn dann noch sehr unterentwickelt ist. Manch
Pessimist wird einwenden, dass das vielleicht der durchschnittliche
Entwicklungsstand der Menschheit sei. Das ist uns aber erst mal egal. Diese
Leute könnte man ja als ethische Analphabeten betrachten.
Was wir aber auch nicht wollen, ist, dass der Zweck die Mittel heiligt. Und
gab es nicht tatsächlich *Versuche* einer Ethik, die von den Konsequenzen
bewusst absehen wollten?
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