Hallo liebe Liste,
da erfahrungsgemäß die Liste in den kalte Monaten wieder etwas
lebhafter wird, habe ich mir gedacht, dies als "selbsterfüllende
Prophezeihung" mal selbst zu verursachen. Das Gedankenspiel, das ich
dafür gewählt habe, ist zwar so originell nicht und seit Aristoteles
haben sich zahllose Denker damit auseinandergesetzt, aber meines
Erachtens regt es immer wieder zum Nachdenken an.
Folgende Überlegung:
1. Es gibt zwei Personen, nennen wir sie A und B. Beide haben ein
ehrliches Interesse an der Wahrheit und wissen auch jeweils vom
anderen, dass er dieses Interesse teilt. Das heißt, sie würden eine
Behauptung a nicht nur für richtig halten, weil es ihnen in den Kram
passt, sondern weil sie dafür gute Gründe vorzuweisen haben.
2. A weiß etwas, von dem B keine Ahnung hat. Nennen wir dieses Wissen x.
3. Zudem hat A sehr überzeugende Gründe dafür, dass B, wenn er von x
wüsste, zu einer Schlussfolgerung y kommen würde.
4. Die Schlussfolgerung y, das glaubt A, ist falsch und wird B auf
eine falsche Fährte locken.
Eventuell würde er sich dann zu schnell eine abschließende Meinung
bilden und nie zur korrekten Ansicht z kommen.
(Als praktisches Beispiel für diese Situation kann sich jetzt jeder
selbst einen Agententhriller, Krimi, eine Science-Fiction-Geschichte,
einen Bekehrungsversuch im weitesten Sinne oder einen Liebesfilm
denken.)
Wäre in dieser Situation der A berechtigt, den B anzulügen? Oder darf
A allenfalls schweigen?
Auf den ersten Blick scheinen die beiden Alternativen ähnliche
Fallstricke zu beinhalten. Indem A wesentliche Informationen vor B
verbirgt, lenkt er seine Schlussfolgerungen. Das bedeutet, er sieht B
in dem Augenblick nicht "auf Augenhöhe", als selbstdenkendes,
urteilsfähiges Subjekt, sondern eher als jemand, "für den mitgedacht
werden muss", damit er nicht auf falsche Gedanken kommt.
Kurzum, so könnte man es salbungsvoll ausdrücken, widerspricht A damit
Bs Würde. (Natürlich vorausgesetzt, dass A und B selbstdenkende,
urteilsfähige Subjekte sind und dass also sowas in Wirklichkeit
überhaupt existiert und davon die Würde abhängt. Es gab und gibt ja
genug Meinungsträger, die mit diese Prämissen ihre Probleme hätten,
wenn auch aus ganz verschiedenen Gründen.)
Das mag etwas hoch gegriffen sein, dennoch haben wir es hier unleugbar
mit einer Bevormundung zu tun. Die Informationen sind insofern
wesentlich, als sie Bs Meinung lenken, ob er y glaubt oder nicht.
Nun könnte ein klassischer Rationalist die Situation folgendermaßen
auflösen wollen:
A selbst ist genauso an der Wahrheit interessiert wie B. Wenn A nun x
weiß und z für richtig hält, dann muss er dafür einen Grund haben. Das
bedeutet, es muss zwischen A und B schon ein Dissens bestehen. Den
könnte man doch vorher auflösen, bevor man B in das Geheimnis x
einweiht?
Es gibt nun Situationen, in denen man über eine Idee länger nachdenken
muss, damit sie plausibel erscheint, selbst wenn man sowas wie
Intuition mal ausschließt, gibt es selbst unter rationalen Menschen
manchmal Widersprüche, die sich aus unterschiedlichen
Lebenserfahrungen, Prägungen oder Interessen ergeben.
Grade die Geschichte der Wissenschaft und Philosophie beweist doch,
dass auch Menschen, die sich vornehmen etwas rein unter
Vernunftgesichtspunkten zu betrachten, immer wieder zu
unterschiedlichen Auffassungen kommen.
Der Moralist würde wohl einwenden, dass es einerseits nicht As Schuld
ist, wenn B aufgrund von x zu falschen Schlüssen kommt, andererseits
aber A das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Personen stark
belastet, wenn er ihn x wissentlich vorenthält, damit er nicht auf y
kommt.
B könnte nämlich zur Überzeugung kommen, dass A ein Interesse daran
hat, B in Unklarheit über y zu lassen. Der Moralist würde also klar
für Ehrlichkeit plädieren.
Nur so können die beiden sich auch in Zukunft noch vertrauen.
Arthur Schopenhauer weist im Vorwort zu seiner Eristische Dialektik
darauf hin, dass es tatsächlich solche Situationen gibt, in denen man
die besten Argumente für seine Position entweder nicht kennt oder
grade nicht präsent hat.
Daher empfiehlt er in solchen Situationen funktionsfähige
Scheinargumente (solche, die erfahrungsgemäß zumindest die Zuschauer
überzeugen, aber eigentlich die Diskussion nicht voranbringen)
anzuwenden, um als Sieger hervorzugehen. Auch wenn Schopenhauer selbst
sich später davon distanziert hat, so muss man doch feststellen, dass
diesem Ansatz bis heute viele Diskussionsteilnehmer folgen.
Die Frage ist, würde dieser Ansatz uns Unehrlichkeit empfehlen?
Wahrscheinlich würde er uns davon abraten, die besten Argumente gegen
unsere Ansicht selbst zu liefern. Andererseits würde er heftig vom
Lügen abraten, weil die Gefahr besteht, dass diese herauskommt.
Wie sieht die Liste das?
Am 15.07.2016 um 16:13 schrieb Waldemar Hammel:
//
wh:
/und ICH hab in vergangenheit immer mal wieder meine empfangs
modalitäten überprüft, weil mich das schweigen der liste argwöhnisch
machte. hihi/
kj:
Ich bin mir nach wie vor noch nicht sicher, ob alle eingetragenen
Philweb-Mitglieder auch erreicht werden. Es könnte sein, dass die für
MAIL-Listen geforderte DKIM-Konformität noch nicht hinreichend in den
Mail-Robot eingebracht ist (was z.B. bei der Verteilung von gmx-Adressen
kritisch wäre). Muss dies noch mit hh erörtern.
Was aber das Schweigen der Liste anbelangt, brauche ich nur bei mir
selbst "nachfragen": Wir sind mittlerweile dermaßen überflutet und
übersättigt von Information (mit und ohne I-Gehalt), von Meinungs- und
Stimmungsmache, nicht zuletzt auch von konkretem Unglück der Welt, dass
uns Hören und Sehen und damit auch irgendwie das Schreiben vergeht. So
vergehen die Tage und Wochen und Philweb bleibt stumm.
Wir sind aber hier schon derart lange zusammen, dass man in Analogie zum
alteingeschworenen Ehepaar annehmen kann: auch wenn man sich mal nichts
zu erzählen hat, reicht man deshalb nicht gleich die Scheidung ein:-))
Wo jetzt allerdings die Liste technisch (freundlicherweise von hh, ihm
sei wie immer Dank!) auf einen anderen Server verlagert und der
List-Manager entsprechend angepasst wurde, wäre halt ein Test wichtig,
um sicherzustellen, dass auch alle erreicht werden.
Soweit zu den listentechnischen Dingen.
kj
zudem ich oft an diese (Beiträge) denken musste, wenn ich beim
Durchforsten entsprechender Literatur über Wesen, Zweck und
Sinnhaftigkeit des Menschen immer häufiger auf die Begriffe von
Wechselwirkung und Thermodynamik gestossen bin. Wie recht Waldemar hat,
denke ich also und doch frage ich mich weiterhin, welche WW dem zugrunde
liegt, dass ich mich nicht nur als organisch wechselwirkender
Molekularhaufen, sondern definitiv als über diesem (letztlich aus gutem
Grunde endlichen) organischen bio-physischem Lebensprozess stehendes
geistiges Wesen erkenne!
/wh://
//nicht dabei an mich denken, denke zb an Dürr ...//
//
//das ich-bewusstsein ist spinoff des psychischen teils der allgemeinen
und überlebens notwendigen immunsystems. wir sind energetisch offene
systeme (fliessgleichgewicht usw), aber funktional aus überlebens
gründen selbst-referente systeme, und diese notwendige selbstreferenz
findet ihren hardware ausdruck im immunsystem. der mithilfe dieser
hardware erzeugte funktionale anteil ist unser psych immunsystem,
welches unsere selbstbefindlichkeit und selbstbezogenheit generiert, ua
unsere ich-instanzen. die vertreibung aus dem paradies (der
animistischen all-einheit) schildert symbolisch den prozess vom
frühkindlichen animismus ohne individuelles immunsystem hin zum eigenen
i-system (symbolisch der sephiroth baum der (ich) erkenntnis). und
natürlich ist, sobald "ich" und "aussenwelt" einmal immunologisch
definiert sind, die paradiesische all-einheit unwiderruflich dahin, aber
dies ist nicht der preis einer sünde, sondern der preis fürs autonome
individuelle überlebenkönnen. dass man sich selbst als abgetrennt von
der aussenwelt erlebt, dass man ich und aussenwelt überhaupt erlebt,
sind effekte des immunsystems (man möchte fast sagen "artefakte", denn
die uns erlebbare aussenwelt ist autopoietisch von uns selbst erzeugt,
und dies ausschliesslich im dienst des überlebenkönnens, nicht etwa in
diensten von objektivem wissenkönnen oder von weisheit. => wir sind
genauso dumm und klug, wie es immunologisch überlebens-bio- technisch
-minimal- notwendig ist, und dieses minimalprinzip basiert auf
thermodynamischen grundlagen)./
kj:
Unter diesem Gesichtspunkt: sind wir dann nicht alle „nur ein
Würstchen“? Hinsichtlich solchermaßen empfundener „Kleinheit“ fällt mir
auch Rombach ein: „Ich habe viel gelernt, aber nichts begriffen“. Wer
von Rombach gelesen hat, wird diese Art der Bescheidenheit als deutlich
übertrieben werten. Trotzdem stellt sich wohl für jeden von uns die
Frage, warum Gelerntes nicht sogleich auch zu tatsächlich Begriffenem
wird. Offenbar können wir für gewisse, von uns – über welche Wege und
Sensorik auch immer - wahrgenommene Phänomene keine Relation zu
bekannten Sachverhalten herstellen, was aber Voraussetzung für das
(Ein-)Ordnen von Information ist (um es für mich veranfachend
informationstechnisch zu betrachgten).
Um etwas (gedanklich) begreifen zu können, muss die vom Gehirn
aufgenommene Information entsprechend verarbeitet, also zunächst
(ein)geordnet werden. Ein Ordnungsprozess bedarf aber grundsätzlich
eines Bezugs, ansonsten Ordnung beliebig bleibt; damit gelingt die
Verarbeitung neuer Information nur, wenn sie in Relation zu bereits
residenter Information gebracht werden kann.
Diese (wie ich annehme, mittlerweile allgemeingültigen) Zusammenhänge
lassen m.E. den Schluss zu, dass Menschen immer dann in ihrer
Wahrnehmung und Beurteilung von Sachverhalten, Phänomenen usf.,
notwendigerweise zu unterschiedlichen Auffassungen gelangen, wenn kein
verbindlicher Bezug gegeben ist. Gleichgültig, ob dieser grundsätzlich
nicht existiert oder aus vielfältigsten Gründen (unversönlich sich
entgegenstehende Sichtweisen) nicht hergestellt werden kann.
Wenn es um mein (ureigenes) Begreifen unter diesem Gesichtspunkt geht,
stelle ich allzu oft fest, dass mir eben dieser Bezug (auf eine
residente Information) fehlt. Ich lerne (erkenne) etwas und kann es
dennoch nicht begreifen, kann es demnach auch nicht sprachlich fassen.
Womöglich zeigt sich hier eine Parallele zu Augustinus' Frage nach der
Zeit: „Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es, wenn ich es einem,
der mich danach fragt, erklären soll, weiß ich es nicht...“ Für sein
„zeitliches Niemandsland“, exakt zwischen Vergangenheit und Zukunft, hat
er also keine Erklärung. Trotzdem „wußte“ er, wie ich es auch zu wissen
glaube, dass alles immer und zugleich ist. Unser Zeitbegriff ist
Illusion und dennoch (im Bezugsrahmen unserer Lebenswelt)
lebenspraktisch sehr real (was ich tagtäglich auf bisweilen drastische
Weise zu spüren bekomme).
/
//Wh: wir sind energetisch offene systeme (fliessgleichgewicht usw),
aber funktional aus überlebens gründen selbst-referente systeme, und
diese notwendige selbstreferenz findet ihren hardware ausdruck im
immunsystem. der mithilfe dieser hardware erzeugte funktionale anteil
ist unser psych immunsystem, welches unsere selbstbefindlichkeit und
selbstbezogenheit generiert, ua unsere ich-instanzen./
kj:
Exakt, jedoch funktionieren nach meiner Sichtweise diese ICH-Instanzen
nicht ausschließlich als „Hardware“, sondern mentale Zustände der
„ICH-Instanz“ supervenieren über deren psychischen (neuronalen)
Zuständen. Damit ist mit dem Ableben Schluss mit (materiegebundenen)
ICH-Instanzen und auch Schluß mit (für mich zweifelsfrei stattfindenden)
immateriellem Informationsaustausch, der das ICH (man mag es auch
PERSONA nennen) zu Lebzeiten mit der animistischen ALL-Welt (wie Du es
nennst) in Verbindung hält. Ein „Stempel“ dieser PERSONA mag sich dabei
in die animistische ALL-Welt gedrückt haben. Das ist eine Frage des
Glaubens oder der Hoffnung. Das Körperliche erfährt unweigerlich den
Wärmetod, da kann/sollte es keine Hoffnung auf (körperliche)
Auferstehung geben.
Mit der „Vertreibung aus der paradisischen All-Einheit“ wurden wir in
die Differenz von Plus-Minus, Licht-Schatten, Gut-Böse, Stark-Schwach
usf., "geworfen"; eine Differenz toto coeli als unausweichliche
Voraussetzung allen Lebens.
Nebenbei: Wurde da wirklich „vertrieben“ oder nicht eher herausgelockt
mit der süßen Frucht des Baumes der Erkenntnis?
Will Geist sich verwirklichen, sich schöpferisch betätigen, muss er in
Materie eintreten. Der Preis dafür („autonom individuelles überleben
können“) ist uns sehr wohl bekannt. So dachte ich vor vielen Jahren und
will bis heute nicht so recht von dieser Vorstellung abrücken, denn ich
finde: der Preis ist es wert, sofern es uns Menschen gelingt (ermöglicht
ist) die Welt als Geschenk und das Leben als lebenswert zu erkennen. Das
zu erkennen, setzt neben der zweifelsohne wichtigen
(natur-)wissenschaftlichen Betrachtung (Vermessung) von Mensch und Welt
auch voraus, darüber hinaus nicht den Blick für das Ganze zu verlieren.
Das Ganze unserer Lebenswelt ist unverbrüchlich eingewebt in das Ganze
des Universums (als geschlossenes System). Der wesentliche
Informationstausch in diesem Ganzen vollzieht sich meiner Meinung nach
immateriell.
Insofern kann man die lustvolle Qual des Begreifen-wollens (so
interessant die Welt auch sein mag) mindern und sich, wie beim Hören
guter Musik (jeder nach seinem Geschmack), nicht in der mühsamen Analyse
einzelner Töne verlieren, sondern aus der Gesamtheit die Schönheit des
Werks und seine uns verzaubernden Harmonien erleben.
Damit würde ich auch gerne noch den von Dir erwähnten H.P. Dürr zitieren:
„Wir sollten nicht das kühle Begreifen oder Erfassen zum Leitbild des
Verstehens machen, sondern das ahnende, tastende Sich-Verlieben, mit dem
wir uns einem anderen in seiner Ganzheit zuwenden; ohne nach dessen
Bedeutung oder Nutzen zu fragen.
[...] Das »Entweder-oder« existiert aber nur an der Oberfläche der Welt.
In ihrer Tiefe ist sie ein Sowohl-als-auch. In der Natur gibt es
Hunderte Millionen verschiedener Arten. Alles existiert gleichzeitig.
Alles freut sich an der Fülle des Lebens. Weil sie es ist, die
Integration und Evolution zuallererst möglich macht. In dieser
gigantischen Fülle des Universums manifestiert sich, könnte man sagen,
der Hintergrund, in dem alles mit allem verbunden ist; aus dem immer
neue Verwirklichungen hervorgehen können und in den alles Gewesene und
Seiende als Information zurückfließt. „
Meinerseits wieder mal ein Ausflug in "unwissenschaftliche" Zwischenwelten.
Bester Gruß an Dich und in die Runde (soweit errreichbar)!
Karl
Anfang der weitergeleiteten E‑Mail:
> Von: Waldemar Hammel <waha3103x(a)googlemail.com>
> Datum: 15. Juli 2016 16:13:19 MESZ
> An: Karl Janssen <janssen.kja(a)online.de>
> Betreff: Re: test
>
>
>
>> Am 15.07.2016 um 12:38 schrieb Karl Janssen <janssen.kja(a)online.de>:
>>
>> Ein weiteres "Lebenszeichen", danke für die Rückmeldung lieber Waldemar! Ich hatte wohl schon Entzugserscheinungen bzgl. Deiner ausbleibenden Beiträge hier in der Liste.
>
> und ICH hab in vergangenheit immer mal wieder meine empfangs modalitäten überprüft, weil mich das schweigen der liste argwöhnisch machte. hihi
>
>> Zudem ich oft an diese denken musste, wenn ich beim Durchforsten entsprechender Literatur über Wesen, Zweck und Sinnhaftigkeit des Menschen immer häufiger auf die Begriffe von Wechselwirkung und Thermodynamik gestossen bin.
>
> nicht dabei an mich denken, ICH bin nur ein würstchen, denke zb an Dürr ...
>
>> Wie recht Waldemar hat, denke ich also und doch frage ich mich weiterhin, welche WW dem zugrunde liegt, dass ich mich nicht nur als organisch wechselwirkender Molekularhaufen, sondern definitiv als über diesem (letztlich aus gutem Grunde endlichen) organischen bio-physischem Lebensprozess stehendes geistiges Wesen erkenne!
>
> das ich-bewusstsein ist spinoff des psychischen teils der allgemeinen und überlebens notwendigen immunsystems.
>
> wir sind energetisch offene systeme (fliessgleichgewicht usw), aber funktional aus überlebens gründen selbst-referente systeme, und diese notwendige selbstreferenz findet ihren hardware ausdruck im immunsystem. der mithilfe dieser hardware erzeugte funktionale anteil ist unser psych immunsystem, welches unsere selbstbefindlichkeit und selbstbezogenheit generiert, ua unsere ich-instanzen.
>
> die vertreibung aus dem paradies (der animistischen all-einheit) schildert symbolisch den prozess vom frühkindlichen animismus ohne individuelles immunsystem hin zum eigenen i-system (symbolisch der sephiroth baum der (ich) erkenntnis). und natürlich ist, sobald "ich" und "aussenwelt" einmal immunologisch definiert sind, die paradiesische all-einheit unwiderruflich dahin, aber dies ist nicht der preis einer sünde, sondern der preis fürs autonome individuelle überlebenkönnen.
>
> dass man sich selbst als abgetrennt von der aussenwelt erlebt, dass man ich und aussenwelt überhaupt erlebt, sind effekte des immunsystems (man möchte fast sagen "artefakte", denn die uns erlebbare aussenwelt ist autopoietisch von uns selbst erzeugt, und dies ausschliesslich im dienst des überlebenkönnens, nicht etwa in diensten von objektivem wissenkönnen oder von weisheit. => wir sind genauso dumm und klug, wie es immunologisch überlebens-bio- technisch -minimal- notwendig ist, und dieses minimalprinzip basiert auf thermodynamischen grundlagen).
>
>
> besten gruß an ALLE (falls noch welche da sind, grins
> waldemar h
hallo karl,
also ICH lebe noch, ohne PFC schädigung (hoffe ich)
kann die server verlagerte liste mich empfangen?
:: waldemar hammel => liste philweb comcheck ...
Hallo in die (hoffentlich erreichbare) Runde!
zuletzt war hier über das Thema Verantwortung (die Frage nach ihrer
Delegierbarkeit) geschrieben worden, wie auch bei der Ende letzten
Jahres entstandenen Diskussion um die Verantwortung der großen
Weltreligionen (ausgelöst durch Politiker-Kommentare im Kontext der
Attentate in Paris).
Der Ruf nach Verantwortung hat im gesellschaftlichen Diskurs der
Gegenwart eine beachtliche Dominanz entwickelt. Eine Erklärung dafür
kann sein, dass die permanente Präsenz weltumgreifend stetig komplexer
und dringlicher werdenden Probleme (Umwelt/Klima, Ressourcenverteilung,
Kriege/Terrorismus, Migration, Wirtschafts-/Finanzkrisen, ökonomischer
Wachstumswahn usf.), vermittelt und verstärkt durch eine omnipräsente
Medienlandschaft , zu einer mentalen Überfrachtung der Gesellschaft
führt, die individuelles wie kollektives Problembewusstsein schlicht
überfordert.
Moderne Gesellschaften (durchaus im Sinne von Poppers „open society“)
sehen sich mit diesen akut die Menschheit und ihren Lebensraum
bedrohenden Problemen konfrontiert; Probleme, die sehr wohl
„menschengemacht“ und somit einem Mangel an Verantwortung (unzulängliche
Technikfolgeabschätzung, Huldigung und Duldung eines ungegezügelten
Kapitalismus, Ignoranz i.A. und so fort) entsprungen sind.
Das klassische Verantwortungsprinzip hat seine ethische Souveränität
bezüglich moralischer wie rechtlicher Regeln verloren und verführt
letztlich nur noch dazu, die entstandene normative Rat- und
Hilflosigkeit in Politik und Gesellschaft durch beliebige gegenseitige
Verantwortungszuweisungen zu kompensieren (Heidbrink hat das in „Kritik
der Verantwortung“ deutlich herausgearbeitet).
*Trotz aller Vorgaben (z.B. Corporate Social Responsibility als
EU-Richtlinie) und Appelle *erweist sich das vorherrschende allgemein
gesellschaftliche Verantwortungskonzept als untauglich, die aufgeführten
Probleme in den Griff zu bekommen. Dies gilt jedoch auch für die nicht
endenden Forderungen an den Einzelnen nach mehr
Verantwortungsbewusstsein und Moral. Sie scheinen eher zu Abstumpfung
(vornehmlich auch gegenüber unerträglich gewordener medienpolitischer
Heuchelei) und Auflehnung gegen einen gewissen Neo-Moralismus zu führen,
der sich letztlich meist nur als Scheinmoral entpuppt. Derartige
Verantwortungskonzepte zum Zwecke normativer Steuerung von
Gesellschaften haben ihre Parallele zu entsprechenden
Steuerungsmechanismen klerikaler Machtstrukturen. Sie entpuppen sich
letztlich als untauglich, die Problemfelder moderner Gesellschaftsformen
zu beherrschen.
Ich hatte mich in meinem letzten Beitrag hier zum Thema Verantwortung
geäußert und dabei angemerkt, dass der allgemeine Verantwortungsbegriff
in seiner Vielschichtigkeit es unmöglich macht, eine tiefer greifende,
hinreichend erschöpfende (durchaus philosophisch orientierte) Antwort
[auf die Frage nach Delegierbarkeit von Verantwortung] zu entwickeln,
ohne eine entsprechende Differenzierung vorzunehmen.
Natürlich ist alles schon über „Verantwortung“ geschrieben. Tausendfach.
Durchaus auch differenziert und in unübersehbarer Fülle ausgeführt in
bisweilen genial analytischer Brillanz. Doch: wer will es noch lesen,
wer kann es noch lesen, wer soll es lesen?
Man kann bei Anaximander beginnen („...denn sie zahlen einander gerechte
Strafe und Buße für ihre Ungerechtigkeit, nach der Zeit Anordnung.“) und
in Aristoteles‘ Imputationslehre (Nikomachische Ethik) über die
Voraussetzung (Tatherrschaft) persönlicher retrospektiver Verantwortung
lesen. Platons Ideal vom organischen „Staatsgebilde“ würde eher für
tribalistische Kollektive mit magisch stammestümlichen Strukturen
passen, die durch rigide kollektive Verhaltensmuster und Tabus dem
Individuum kaum Raum für persönliche Verantwortlichkeiten ließen.
Mit den Griechen vollzog sich dann aber der Schritt vom Tribalismus
(closed society) hin zu heutigen Gesellschaftsformen (open society). Bei
allen Vorteilen einer offenen Gesellschaft sind doch seine Gefahren
nicht zu unterschätzen, wo definitiv zu viele Menschen, vornehmlich als
Bewohner urbaner Lebensräume, in - oft selbst gewählter - Anonymität und
Isolation (d.h. ohne bzw. mit sehr wenigenpersönlichenKontaktenzum
sozialen Umfeld) leben.
Selbst (und insbesondere heute)weitest verbreitete, in Form technischer
Geräteals (Ver-)Mittler sozialer Kontakte fungierend,können den
essentiell notwendigen persönlichen Bezug zum gesellschaftlichen Umfeld
nicht ersetzen. Diese Menschen (obgleich omnipresent in sog. sozialen
Netzen) sind nur noch Teil einer abstrakten entpersonifizierten
Gesellschaft; ihr Leben in sog. Virtual Reality hat jeglichen
gemeinsachaftlich organischen Charakter verloren, der nach Platons
(wenngleich durchaus heuristisch gesetztem) Staatsideal jedoch Grundlage
für ein funktionierendes Gesellschaftsmodell ist.
Dieser sozialen Deprivation entgehen jene Menschen, die entsprechend
ihrer innewohnenden tribalistischen Neigung sich in Gesellschaft begeben
(Vereins- und Kulturleben, Ehrenamt usf.). Dort findet sich dann auch
real (vor)gelebte Verantwortung für dasGemeinwesen, für die Umwelt, für
die eigene Lebensführung und dies ohne Appelle und Vorgaben.
Mit dieser positiven Sicht auf ein gelebtes Verantwortungsprinzip möchte
ich diesen Beitrag schließen, nicht ohne bei nächster Gelegenheit auf
weitere bedeutsame Aspekte von Verantwortung eingehen zu wollen. Etwa
Verantwortbarkeit im Kontext von Aristoteles‘ „Tatherrschaft“ (unter
welchen Umständen existiert Handlungsfreiheit und -möglichkeit, bzw.
besteht im Rahmen menschlichen Handelns tatsächlich Willensfreiheit,
darüber hinaus biologisch-neuromedizinische Aspekte u.a. infolge von
Hirnschädigungen des PFC).
Bester Gruß in die Runde! Karl
PS: Mittlerweile habe ich Zweifel, ob nach der technischen Umstellung
(Serverwechsel) von Philweb diese Liste auch wirklich von allen
eingetragenen Mitgliedern erreicht wird. So wäre es wichtig, dass sich
zumindest einige der „altbewährten“ Protagonisten (ggf. in Replik auf
diesen Beitrag) melden.
Am 05.06.2016 21:17, schrieb Rat Frag:
Kann man Verantwortung delegieren? Diese Frage kann m.E. nur mit „Ja“
beantwortet werden; und ich würde sogar noch weiter gehen und behaupten:
Man muss Verantwortung delegieren! Nämlich immer auch dann (als Beispiel
aus der Berufswelt), wenn Arbeitsaufträge zu delegieren sind, deren
Ausführung dann in die Hände von Handlungsverantwortlichen gelegt ist.
Natürlich wird der Auftragserteilende nicht von seiner übergeordneten
Verantwortung (z.B. für ein Projekt) entbunden. Es vollzieht sich
gewissermaßen eine Teilung von Verantwortung, die entsprechend der
Komplexität, Beschreibungsqualität (Pflichtenheft) und
Qualitätssicherung des Auftrags eben verantwortungsbewusst gestaltet
werden kann. Leider gab und gibt uns vor allem die Technikentwicklung
immer wieder drastische Beispiele unverantwortlichen Handelns. Diese
finden sich bekanntermaßen in diesbezüglicher Fachliteratur zur
Technikfolgeabschätzung.
Wenn ich solchermaßen im Kontext dieser Fragestellung mitten in die
Begrifflichkeit von Verantwortung hinein argumentiere, setze ich das
vorherrschende Alltagsverständnis von Verantwortung voraus. Genau
besehen ist dieser Begriff jedoch derart vielschichtig, dass man ohne
eine entsprechende Differenzierung vorzunehmen, kaum eine tiefer
greifende, hinreichend erschöpfende (durchaus philosophisch orientierte)
Antwort entwickeln kann. Für mein Empfinden müsste ich ein spezielles
Augenmerk auf das Begriffspaar Handlungsfreiheit und -möglichkeit werfen
und zunächst die Frage klären, inwieweit im Rahmen menschlichen Handelns
in dieser Lebenswelt tatsächlich Willensfreiheit besteht.
Soweit für den Augenblick.
Bester Gruß in die Runde! Karl
PS: Die Philwebliste wurde inzwischen von hh (Uni Wien) technisch auf
einen anderen Server umgesiedelt. Soweit ich es erkenne, verlief die
Aktion problemlos. Sollte sich bei Euch dennoch ein Problem zeigen,
bitte pm an mich (durchaus auch als positive Rückmeldung).