Hallo,
vielleicht sollten wir die Liste ein bisschen wiederbeleben?
Ich dachte, dass wir vielleicht gemeinsam einen Text lesen und
besprechen könnten.
Als Text würde ich, aus gegebenen Anlass, eine Schrift von Kant
vorschlagen, "Zum Ewigen Frieden":
https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Zum_ewigen_Frieden&oldid=2206972…
Was denkt ihr?
Gruß
Der, wie immer, Ratfragende
Am 08.03.22 um 18:52 schrieb Claus Zimmermann via Philweb:
> Es geht ja nicht darum, wer die reinere Weste hat, sondern um
> Institutionen, die vor Machtmissbrauch schützen. Diese Wirkung werden
> sie vermutlich nicht von selbst haben, sondern nur, wenn sie mit Leben
> erfüllt werden. Es kommt schon auf die Akteure an. "Krumme Hölzer"
> (Kant), meist weder komplett verdorben, noch das Gegenteil, können sie
> vielleicht ein bisschen begradigen, so wie vorgezeichnete Wege gegen
> Verkehrschaos helfen können.
Voll richtig so gedacht, und interessant auch die Sprache eines Immanuel
Kant.
> Kant finde ich übrigens doch nicht ganz so leicht zu lesen wie Joseph
> Hipp meinte.
Ich gehe eben anders vor, und will nicht einmal lesen, wenn ich von
Anfang an stutzig bin. Aber weil ich anders lese komme ich anders voran,
auch wenn ich nicht schnell ans Ende des Lesens oder Textes komme. Es
liegt mir immer die Situation des Dialoges des Phaidros vor Augen.
> Dabei begegnet er uns hier als überraschend lebendiger, kein bisschen
> verknöcherter Stilist.
Das wusste auch schon Nietzsche zu kommentieren, als er so ungefähr
schrieb, dass Kant besser seine Tischgespräche aufgeschrieben hätte als
sein trockenes Werk.
> Die Schwierigkeit liegt wohl in den über zwei Jahrhunderten
> Sprachentwicklung, wie auch RF meint, mit leichten Veränderungen der
> Wortbedeutungen und der grammatischen Formen in Verbindung mit langen,
> wenn auch übersichtlich gebauten Sätzen.
> Beim ersten Satz z.B. hat sich die damalige Form "die Menschen", "die
> Staatsoberhäupter" etc. zu "den Menschen" etc. verschoben. Dann wird
> es lustig. Kant erinnert die Zensurbehörde daran, dass er doch nur ein
> lebensfremder Theoretiker und also nicht wie jemand zu behandeln ist,
> der sich in praktische Angelegenheiten, die ihn schliesslich nichts
> angehen, einmischt.
Gut gesagt. Doch würde ich gerne langsam voran gehen im Text, wenn ich
denn Zeit hätte. Ganz am Anfang "kritisierte" ich die Verwendung des
Wortes Staat. Ich bin nicht unnachgiebig und bin einverstanden damit,
das Wort Staat auch anzuwenden, und ceteris paribus so zu tun, als wäre
das die Grundvoraussetzung für Gruppen. Das bezweifelte ich in meinen
letzten Schreiben. Dann aber sehe ich dies Schrift wie alle anderen, die
nicht nur Theorie schreiben, sondern glauben, sie würden in einem Staat
leben. Und ich tue gemäß Schopenhauer als er meinte, seine Uhr ginge
richtig, aber er müsse sich an die Zeit der Gruppe halten. Es gibt
schließlich viele, die mit diesem Gedankenexperiment den Staat
voraussetzen und nicht die Gruppen mit ihren Obrigkeiten und die
Obrigkeitengruppen. Die Möglichkeit, zu differenzieren, wird mit
Einführung des Wortes Staat vernichtet. In einem gewissen Sinn hat Claus
auf dieses Problem ganz oben hingewiesen: Wenn der
Differenzierungversuch sich dann doch durchsetzt, müssen
ad-hoc-Erklärungen entstehen.
Vielleicht gehe ich weiter im Lesen des Gedankenexperiments des Immanuel
Kant, mache mit, und werde mich dann auf weiteren Steinen stoßen.
Joseph
Am 11.03.2022 um 08:51 schrieb Joseph Hipp:
2. Hier geht es darum, wie es ist, wenn innen im Staat etwas Schlechtes geschieht, Kant nutzte hierfür das Wort Skandal. Etwa die Auflösung eines Staates, der zur Anarchie übergeht, und ob in diesen eingegriffen werden kann. Diese Frage hat Kant mindestens an einer Stelle leicht beantwortet. Nur wie die Überorganisation dort eingreifen? Die Antwort darauf habe ich leider wieder nicht gefunden und bitte um Hilfe. Ich lasse mich gerne belehren.
ein zerfallender (oder auch ein erst proto-staat) "staat" kann in 3
weisen in "anarchie" übergehen:
- entweder in "chaos-anarchie"
- oder in "geordnete anarchie", die wie in der ukraine (eher protostaat
noch) und heutigem russland (zerfallender staat)
lokale matadore "caudillos" erzeugt, zb sind "mafias" gute beispiele für
sowas = oligarchien unterschiedlicher ebenen
- oder er kann in geordnete untereinheiten übergehen, zb wir als
beispiel, mit einzelnen historisch-gebildeten "bundesländern", die bei
uns allerdings
einen strengen großstaatlichen überbau haben, bundesregierung usw mit
überbordender bürokratie usw, was "flache hierarchien",
schnelle entscheidungsfindungen, usw völlig verhindert, sodass wir DE
eher irgendwo richtung "autokratie" driften, bei uns als
>>(nur)freiheitLICHE<< demokratie ausgewiesen, mit hiesigen
"superreichen" als unseren DE oligarchen und mafiaformen entitäten
mein traum wäre die anarchie, die aus gleichberechtigten ethnischen,
sozialen, wirtschaftlich-integrierten, flächenmäßig überschaubaren
einzel-"staaten"
bestünde, flacheste hierarchieebenen, also ein flickenteppich aus
gleichen, mit einer autopilotischen (automatisierung) mensch-fernen
überbau-steuerung
(bots statt menschen-politikern) für die grundlegenden essentiellen
funktionen des ganzen
wh.
--
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Am 11.03.22 um 01:39 schrieb waldemar_hammel:
so ungefähr abgekürzt zu Punkt 5:
"auch Demokratien führen verdeckte und offene Kriege"
Den wahrscheinlich neutralen Demokratie-Index
(https://de.wikipedia.org/wiki/Demokratieindex) kann wohl jeder sich
anschauen, und fragen und antworten, welche Länder denn (in diesem Fall
2021) mehr oder weniger Kriege verursachten oder führten und ziemlich
sicher eine Antwort finden. "Wir" könnten nachfragen, wie denn diese
Karte, rückwirkend erstellt wäre, zusätzlich eine Karte mit den jeweils
in dem Jahr ablaufenden Kriegen. Es wäre vielleicht eine gute Aufgabe
für Mathematiker, Soziologen, Historiker, möglichst genaue
wissenschaftliche Faktoren zu vergleichen. Ich sehe sehr viele
Hausaufgaben, die nicht erledigt sind. Und es könnte differenziert werden
nach Krieg nach außen/Krieg innen,
nach Ursachen,
nach Zielen (Expansion, Erhöhung des eigenen Wohlstands usw.),
nach System (von Wörtern, Sätzen, Texten) von Obrigkeiten und Gruppen,
nach Folgen (für den Wohlstand),
nach Folgen für die Grundlagenzerstörung
usw.
... alles enorme unerledigte Aufgaben.
> und kriege sind keine "spielereien",sondern kriege sind "militärisch"
organisierte raubzüge (diebstahl) unter archaischer inkaufnahme (also
absichtlich) von menschenopfern (eigene und "gegner",soldaten und
zivilisten) + umweltzerstörungen sondergleichen, und allein schon wegen
letzterem müsste man egal warum und wieso kriegende wegen
umweltverbrechen vor gericht stellen
richtig, auch hiernach kann differenziert werden:
nach dem verursachten Leid,
nach der Zahl der Toten und Verletzten,
... hat Waldemar schon angegeben.
> - goldene nasen werden beim kriegen sogar dreifach verdient:
- bei den vorbereitungen zu kriegen (rüsten)
- während der kriege selbst (nachschub)
- beim anschließenden wiederaufbau des durch kriege zerstörten
--- also: kriege = immer bombengeschäfte
Ja, aber hier muss differenziert werden nach den Gruppen und
Obrigkeitengruppen, die "goldene Nasen" "verdienen", das sind andere als
etwa die Gruppen,
die von Ewigkeit zu Ewigkeit denken, oder die an den Frieden, die auf
den ewigen hoffen und an ihn glauben, oder dass er von oben als eine Art
Reset nach der Sintflut entsteht, oder der aus einem schwarzen Loch oder
aus subatomaren Welten heraus erscheint, (ich würde auch gerne so
hoffen, dann könnte ich abwarten und Tee trinken),
diejenigen, die an Wissenschaft und Fortschritt glauben, und damit
Systeme erfinden, die alles schneller, besser, perfekter machen, machen
müssen,
diejenigen, die den Wohlstand anpeilen und die Zerstörung der
Lebensgrundlagen dabei in Kauf nehmen,
in diesem Fall nur mit Blick auf den Krieg, Kriegsvorbereitung,
Kriegsbeendung. Denn das alles sind schließlich auch zu "Friedenszeiten"
Faktoren, Sachen in den Ursacheketten.
Ich bin trotz allem damit einverstanden, wenn andere Differenzierungen
vorgeschlagen werden, dies hier sind nur kleine Schwafeleien von mir, so
nebenbei. Nun frage ich lachend: Habe ich wirklich mehr als geschwafelt?
Ich warte ab und trinke Kaffee, keinen Alkohol, sonst würde Waldemar
sich ärgern.
Joseph
This is a reminder of the upcoming talk ‘Two Routes to (and from) Metaphysical Skepticism’ by Jessica Wilson (University of Toronto). It will be chaired by Claudio Calosi (University of Geneva and USI).
The talk will be held on Tuesday, March 15, 18:00 (CET) on Zoom, and it will also be streamed on USI Master in Philosophy Facebook page <http://www.facebook.com/usimap>.
To participate, please write an email to amm.map(a)usi.ch <mailto:amm.map@usi.ch> or send a message to our Facebook page (www.facebook.com/usimap <http://www.facebook.com/usimap>).
Here is the Abstract of the Talk:
I consider and offer replies to lines of thought in support of some form of metaphysical skepticism, according to which metaphysical claims---e.g., the claim that universals serve as the basis for resemblance between objects, or that sets necessarily exist---are meaningless, false, epistemically inaccessible, or at best pragmatically accepted.
The talk is part of the Lugano Philosophy Colloquia - a series of events organized by:
- Master in Philosophy at USI
- Ratio – Philosophical Association
- Istituto di Studi Filosofici, Lugano
If you want to stay updated on our incoming philosophical events, please check our page https://www.usi.ch/en/feeds/17840 <https://www.usi.ch/en/feeds/17840> and subscribe to our mailing list <https://lists.usi.ch/mailman3/postorius/lists/philosophy.lugano.lists.usi.c…>. For any question, please write to amm.map(a)usi.ch <mailto:amm.map@usi.ch>
We look forward to your presence! Thank you.
Am 05.03.22 um 14:30 schlug Rat Frag via Philweb:
vor, einen Text zu lesen und zu besprechen. Wenn ein allgemeines
Interesse daran besteht, mache ich gerne mit.
Eine Voraussetzung liegt schon vor, nämlich liegt der Gesamttext vor,
auf etwa 40 Seiten, mit folgenden Links auf der Wikipedia-Seite:
https://korpora.zim.uni-duisburg-essen.de/Kant/aa08/341.html
hier muss man immer zur nächsten Seite unten klicken, wobei dann die
weißen Seiten nicht gekennzeichnet sind, was aber nicht sehr schlimm
ist, wenn man es einmal weiß. Vorteil dieser html-Form ist, dass die
Zeilen indiziert sind.
und hier ist der Gesamttext als Pdf:
https://oxnzeam.de/wp-content/uploads/2015/11/kant-zum_ewigen_frieden.pdf
Dieser wird am besten herunter geladen, denn je nach Browser ist er
nicht so leicht zu lesen. Vorteil ist hier, dass die Seitenzahlen
vorliegen, und der Gesamttext vorliegt.
Wie sind die Vorschläge der Gruppe hier, wie vorgegangen werden könnte?
Eine Vereinbarung, die Pdf-Datei zu nutzen, kann dazu führen, dass ein
Teilnehmer sich auf eine bestimmte Seite beziehen kann.
Ohne Indizierung wird eine Besprechung des Textes schwierig, und "über"
ihn als Gesamttext Kommentare zu geben, ist eine bestimmte Methode, die
den Text möglicherweise wegschleudern könnte, nach dem Motto der Kritik
bzw. der Abwertung des Schwafelns und Schwadonnierens. Trotzdem kann
auch das implizit und allgemein im Kant-Text vorliegende besprochen
werden und es darf schließlich auch eine Einordnung geschehen.
Dass Immanuel Kant die üblichen Wörter annimmt, die derzeit und auch
jetzt noch aus der Umgangssprache kommen, ist offensichtlich, allein das
macht mir Schwierigkeiten. Also müsste ich den Text in die mir
vorliegende Sprache jeweils übersetzen, diese Übersetzungsarbeit ist mir
ein Hemmnis, weil ich nicht weiß, wie viel Zeit ich dafür habe. Die
"normalen" Personen jedoch differieren mit ihrer Sprache nicht besonders
stark von der geschriebenen Sprache eines Immanuel Kant oder der Sprache
einer "Charta der vereinten Nationen".
Joseph Hipp
Am 05.03.22 um 14:30 schrieb Rat Frag via Philweb:
> [Philweb]
> Hallo,
>
> vielleicht sollten wir die Liste ein bisschen wiederbeleben?
> Ich dachte, dass wir vielleicht gemeinsam einen Text lesen und
> besprechen könnten.
> Als Text würde ich, aus gegebenen Anlass, eine Schrift von Kant
> vorschlagen, "Zum Ewigen Frieden":
> https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Zum_ewigen_Frieden&oldid=2206972…
>
> Was denkt ihr?
>
> Gruß
>
> Der, wie immer, Ratfragende
> _______________________________________________
> Philweb mailing list
> Philweb(a)lists.philo.at
> http://lists.philo.at/listinfo/philweb
Jessica Wilson
‘Two Routes to (and from) Metaphysical Skepticism’
Tuesday, March 15, 18:00 (CET)
The MAP (Master in Philosophy) at USI (Università della Svizzera Italiana, Lugano) is pleased to announce the second talk of the Lugano Philosophy Colloquia of 2022, ‘Two Routes to (and from) Metaphysical Skepticism’.
The guest speaker is:
Jessica Wilson (University of Toronto)
The talk is chaired by:
Claudio Calosi (University of Geneva and USI)
Date:
Tuesday, 15 March, 18:00 (CET)
Location:
The talk will be held on Zoom, and it will also be streamed on USI Master in Philosophy Facebook page <http://www.facebook.com/usimap>.
To participate:
Please write an email to amm.map(a)usi.ch <mailto:amm.map@usi.ch> or send a message to our Facebook page (www.facebook.com/usimap <http://www.facebook.com/usimap>).
The Abstract of the Talk:
I consider and offer replies to lines of thought in support of some form of metaphysical skepticism, according to which metaphysical claims---e.g., the claim that universals serve as the basis for resemblance between objects, or that sets necessarily exist---are meaningless, false, epistemically inaccessible, or at best pragmatically accepted.
The talk is part of the Lugano Philosophy Colloquia - a series of events organized by:
- Master in Philosophy at USI
- Ratio – Philosophical Association
- Istituto di Studi Filosofici, Lugano
If you want to stay updated on our incoming philosophical events, please check our page https://www.usi.ch/en/feeds/17840 <https://www.usi.ch/en/feeds/17840> and subscribe to our mailing list <https://lists.usi.ch/mailman3/postorius/lists/philosophy.lugano.lists.usi.c…>. For any question, please write to amm.map(a)usi.ch <mailto:amm.map@usi.ch>
We look forward to your presence! Thank you.
Registrations are now open for the online Info Day of the Master in Philosophy (MAP) <https://www.usi.ch/en/education/master/philosophy> at USI (Università della Svizzera Italiana, Lugano)!
The MAP is a research-oriented, two-year master programme (in English) with a clear focus on Metaphysics, Philosophy of Mind, Logic, and Philosophy of Science. It aims at preparing its students for the most demanding PhD programmes around the world and stands out for the international stature of its professors <https://www.usi.ch/en/education/master/philosophy/professors>. It guarantees a personal tutor, who is one of the professors of the Master and provides regular one-on-one meetings, feedback on written work, and guidance about future academic careers.
The Info Day allows prospective students to get to know our master programme. During the online Q&A session, students will have the opportunity to ask questions about the master to the programme coordinator, some current students, and alumni.
The meeting will take place on Wednesday 16 March at 16:15-16:45 (CET) on Microsoft Teams.
To participate:
Please fill in the online registration form: https://www.usi.ch/en/online-master-info-week <https://www.usi.ch/en/online-master-info-week>.
More information about the MAP:
https://www.usi.ch/en/education/master/philosophy <https://www.usi.ch/en/education/master/philosophy>
https://www.facebook.com/usimap <https://www.facebook.com/usimap>
Hallo zusammen,
mich langweilen bekanntlich die ständigen Wiederholungen besonders zur Religion hier in der Liste. Wenigstens hat sich der neue Bundeskanzler bei seinem Amtseid nicht auf eine Mythengestalt bezogen, will vielmehr aufklärungsorientiert mehr Fortschritt wagen. Vielleicht ergeben sich aus dem Ansatz sogar neue über die Kennzeichnung als Richtungswahl oder Aufbruch hinaus gehende Gesichtspunkte anstelle der ewigen Wiederkehr des Gleichen.
Adenauers Motto war: Keine Experimente! Brandt wollte mehr Demokratie wagen und Scholz will mehr Fortschritt wagen. Aber was steht zum Fortschritt im Koalitionsvertrag des Bündnisses für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit? Dazu einige Zitate: „Notwendige Modernisierung bei unterschiedlichen Sichtweisen. Wir machen aus technologischem auch gesellschaftlichen Fortschritt. Dabei ist uns bewusst: Ein digitaler Aufbruch, der unsere Werte, die digitale Souveränität und einen starken Technologiestandort sichert, gelingt nur in einem fortschrittlichen europäischen Rahmen. Wo Fortschritt entsteht, muss er auch gelebt werden. Eine innovative Gesundheitswirtschaft ist Grundlage des weiteren medizinischen Fortschritts und birgt gleichzeitig viel Potenzial für Beschäftigung und Wohlstand. Wir wollen Europa zu einem Kontinent des nachhaltigen Fortschritts machen und international vorangehen. Durch europäische Standards setzen wir Maßstäbe für globale Regelwerke.“
Zunächst wähle ich einen Kernsatz aus: „Wir machen aus technologischem auch gesellschaftlichen Fortschritt.“ Technologischer Fortschritt ist unstrittig; denn Anzahl und Genauigkeit technologischer Parameter nehmen mit der Zeit monoton zu. Aber was wird daraus wie sozial? Wie haben Telegraph, Telephon, Radio, Fernsehen und Smartphone die Gesellschaft seit Virchows Zeiten in der Fortschrittspartei sozialer gemacht? Und ist die Gesellschaft seit Brandt demokratischer geworden? Meinem Eindruck nach hat es seit Virchow einen enormen sozialen und demokratischen Fortschritt gegeben, aber kaum mehr seit dem Ende der 1970er Jahre. Ein sozialer Parameter wäre die Zufriedenheit in Abhängigkeit vom Wohlstand, die seitdem gemäß Umfragen kaum mehr zunimmt. Mit welchen sozialen Parametern wäre der digitale Aufbruch verbunden?
Rudolf Virchow hatte 1865 einen Vortrag gehalten: „Über die nationale Entwicklung und Bedeutung der Naturwissenschaften.“ Die nationale Komponente wäre gemäß Koalitionsvertrag nunmehr durch die europäische, wenn nicht globale zu ersetzen; könnte ansonsten aber beibehalten werden; bspw. von der Reproduktionsmedizin zur reproduktiven Selbstbestimmung und ergänzend von der traditionellen Kleinfamilie zur zukünftigen Verantwortungsgemeinschaft. Damit ließe sich an den Existentialismus Sartres anknüpfen, nämlich „das der Mensch, der verurteilt ist, frei zu sein, das ganze Gewicht der Welt auf seinen Schultern trägt: er ist, was seine Seinsweise betrifft, verantwortlich für die Welt und für sich selbst."
„Die Frage lautet, ob so etwas wie sozialer Fortschritt gedacht und, wichtiger, gemacht werden kann“, schrieben der Schriftsteller Dath und die Chemikerin Kirchner in ihrem 2012 erschienenen Gemeinschaftswerk „Der Implex": „Was da ist. Das nennen wir die Möglichkeitsgeographie, Entscheidungsraum, das nennt dieses Buch den Implex.“ Nicht nur das, was war, sondern auch das, was möglich war und noch sein könnte, wird im „Implex" erzählt.
Aber zeigt der gegenwärtige Übergang von der Covid-19-Pandemie in die -Endemie, wie sich technologischer Fortschritt in sozialen Fortschritt verwandeln kann? Gedacht wird sozialer Fortschritt seit der Aufklärung und gemacht seit der amerikanischen und französischen Revolution. Es wäre aufschlussreich, im Detail zu verfolgen, wie aus den hehren Anfängen die heutigen Situationen in den USA und Frankreich hervorgingen. Als Chemikerin ist Kirchner auch mit der Quantenchemie und der Molekulardynamik vertraut, die momentan dabei eingesetzt wird, schon mal vorab die Konsequenzen der Mutationen an der Omicron-Variante hinsichtlich ihrer veränderten Antigene für die Antikörper des Immunsystems zu berechnen.
In Evolutions- und Quantentheorie ist das Denken in Möglichkeitsräumen selbstverständlich und im „Implex“ wird versucht, diesen Ansatz von der Naturwissenschaft auf die Sozialwissenschaft auszuweiten. Das gelingt bspw. Helbing mit seiner quantitativen Soziodynamik. Dath/Kirchner verweisen aber auch auf Bourdieu: „Hexis und Praxis, in der Kritik der dialektischen Vernunft, eine Vokabelentscheidung, in der dann später Lebensstil- und Geschmacksanalytiker wie Bourdieu wieder ihre eigenen Späße trieben.“ Bei Pierre Bourdieu ist der Habitus bzw. die Hexis das Erzeugungs- und Strukturierungsprinzip von Praxisformen, die wiederum auf es zurückwirken. Das scheint mir ähnlich wie bei den energieoptimiert verteilten Ladungen im von ihnen ausgehenden elmag. Feld, selbstkonsistent berechenbar in der Dichte-Funktional-Theorie DFT – oder wie bei den energieoptimiert verteilten Massen im von ihnen ausgehenden Gravitationsfeld, berechenbar in der Allgem. Relativ. Theorie ART.
Aber agieren Menschen im sozialen Raum wie Teilchen im physischen Raum? Bei Bourdieu sollen Habitus und Feld die Opposition von Individuum und Gesellschaft überwinden. Eine Dialektik in Natur und Menschheit gleichermaßen ernergieoptimiert selbstabilisierend und mathematisch selbstkonsistent verstehen zu wollen in einer allgemeinen Feldtheorie physischer wie sozialer Felder scheint mir seit langem plausibel und wir diskutierten darüber damals im Marx-Seminar in Verbindung mit einem rationalen Verständnis von Dialektik.
Weiter geben Dath/Kirchner Hinweise auf die mathematische Situationstheorie von Barwise und Perry und gehen auf die Infon-Logik von Gurevich und Neeman ein. Infonen hatte ich bisher vage im Anschluss an Photonen im Gedächtnis behalten, aber nunmehr entsprangen die Infonen der Situationstheorie. "An ontological approach to situation theory“ hat Robert Hoehndorf 2005 in seiner "Situoid theory“ gegeben. Aber denkt ein Philosoph beim Situationsverständnis nicht auch an den Existentialismus und speziell an Sartre?
Der schrieb in seinem Hauptwerk: „Ich ergreife die transzendierte Transzendenz des Anderen als Leib-in-Situation und ich erfahre mich in meiner Entfremdung zugunsten des Anderen auch als Leib-in-Situation.“ Allgemeiner bestimmte Sartre das, was er In-Situation-Sein nennt, im Anschluss an die verschiedenen Darstellungen, die sich auf meinen Platz, meine Vergangenheit, meine Umgebung, meinen Tod und meinen Nächsten erstrecken; denn „es gibt Freiheit nur in Situation, und es gibt Situation nur durch Freiheit. Die menschliche Realität trifft überall auf Widerstände und Hindernisse, die sie nicht geschaffen hat; aber diese Widerstände und Hindernisse haben Sinn nur in der und durch die freie Wahl, die die menschliche Realität ist.’’ Eine mehr oder weniger freie Wahl gibt es für den Mathematiker primär in Möglichkeitsräumen, für die der Physiker die Wahrscheinlichkeitsgewichte für die jeweiligen Situationsänderungen durch Zustandsübergänge berechnet.
Die Regierung Scholz will zwar mehr Fortschritt wagen, aber es fehlt ihr offensichtlich der theoretische Rahmen. Brandt bezog sich damals auf die kritische Theorie, in der es dem jeweiligen Stand der Technik nach um die Veränderung der Gesellschaft zum Besseren ging. Schmidt und Schröder folgten dann dem kritischen Rationalismus mit seiner Stückwerk-Technologie. Um mehr scheint es mir bei Scholz auch nicht zu gehen. Wäre vielleicht eine der heutigen Situation angemessene Fortschrittstheorie hilfreich? Und böte „Der Implex“ einen Anfang dafür?
IT