Hallo,
nach einiger Lektüre bin ich zu einen Gedanken gekommen, den ich hier
zur Diskussion stellen möchte. Ich bitte ausdrücklich um Kritik und
Gegenargumente. Entweder die Gegenargumente bekehren mich zu einer
besseren Ansicht oder ich kann anhand dieser mein Gedanken ein
bisschen schleifen.
Kann es sein, dass es in Sachen Moral zwei Typen von Aufklärern gegeben hat?
Ich würde diese beiden Typen bezeichnen als "amoralische Aufklärung"
oder auch "deskriptive Analytiker" und als "moralische Aufklärung"
oder auch "Ethiker". (Es sollte klar sein, dass mit "amoralisch"
keineswegs gemeint ist, dass diese Leute über keine Moral verfügen
oder zu "unsittlichen" Verhalten aufrufen oder sowas. Es geht um die
Haltung zur Moral als solcher. "Analytiker" wird hier auch im Sinne
einer Analyse, "Auflösung" verstanden.)
Der Unterschied lässt sich verkürzt so darstellen, dass die
"amoralischen Aufklärer" die gesellschaftliche Moral in Soziologie,
Psychologie (mit Erziehung), Ökonomie und, falls überhaupt, eine Prise
Religion "zersetzen" wollen, während die "moralischen Aufklärer"
anstelle der traditionellen Moral eine neue, vernünftig begründete,
"aufklärerische" Moral setzen wollen.
Zu den "moralischen Aufklärern" zähle ich solche Personen wie Kant,
Locke, Hobbes (?) und, soweit meine beschränkte Lektüre reicht,
Holbach. Sicherlich aber Rousseau.
Wobei Holbach nach meiner Kenntnis keine Ethik betrieben hat, aber
wohl zuversichtlich war, dass eine aufgeklärte Ethik eine auf
Vorurteil und Aberglaube basierende Moral bald ersetzen würde.
Bei Locke und Kant ist die Berufung auf das Naturrecht vielleicht
klare Zeichen. Bei Hobbes ist die Einordnung natürlich etwas
umstritten. Einerseits argumentiert er naturrechtlich, andererseits
"zersetzt" er die Moral.
Zu den "amoralischen Aufklärern" zählen die Autoren Hume, La Mettrie,
Hobbes mit seinem Gesellschaftsvertrag, Smith und Montesquieu.
Die "deskriptiven Analytiker" wollen die bestehende gesellschaftliche
Moral (ihrer Zeit) durch sorgfältige Untersuchung auf andere Faktoren
zurückführen. Beispielsweise in Falle von Montesquieu auf soziale und
politische Aspekte, im Falle La Mettries scheint es eher Richtung
individueller Psychologie zu gehen.
Ihre Theorie ist deshalb im Wesentlichen erklärend.
Ein Beispiel: Montesquieu argumentiert, dass in einer aristokratischen
Republik das Erbe möglichst unter allen Nachfahren aufgeteilt werden
sollte, um zu große Ansammlungen von Vermögen zu vermeiden, in einer
Monarchie dagegen sollte das Erbe ungeteilt bleiben.
Aristokratische Republiken erfordern als Prinzip Selbstzucht, Monarchien Ehre.
Hier würde man die Moral auf soziale und ökonomische Faktoren zurückführen.
Der "Ethiker" dagegen finden zunächst eine sichere Quelle der Ethik
und leiten ihrerseits daraus die Moral ab. Beispielsweise bei Locke
("Zwei Abhandlungen über die Regierung") folgt das Erbrecht aus der
Verpflichtung der Eltern, für ihr Kind zu sorgen. Daher sollen sie ihn
sozusagen gewissen Vermögenswerte überlassen dürfen.
Zur Veranschaulichung würde ich zwei idealisierte Vertreter dieser
beider Strömungen mal in einen Dialog zeigen:
Amoralische Aufklärer aka "Analytiker": "Die Moral einer Gesellschaft
ist eine komplexe Verbindung, wie etwa eine bestimmtes Mineral. Wie
man ein Mineral in einer Säure, z. B. Königswasser, in seine Elemente
zersetzen kann, so kann man auch die Moral durch eine logische Analyse
in ihre Elemente auflösen.
Dann kommt heraus, dass die Moral viel mit der Gesellschaft zu tun
hat, die sie hervorbringt und damit lässt sich dann auch erklären,
wieso es beispielsweise zu verschiedenen Zeiten und Ländern andere
Moralvorstellungen gegeben hat."
Moralischer Aufklärer aka "Ethiker": "Die Moral ist nicht komplex,
sondern kompliziert, wie ein langer Satz voller Nebensätze. Es lässt
sich bei genaurer Untersuchung aber sehr wohl der 'Hauptsatz'
herausfinden und dieser ist ein Imperativ. Das Problem ist
desweiteren, dass es auf den Gebiet der Moral nicht weniger Irrtümer
und Aberglaube gibt als auf den übrigen Gebieten.
Auch muss man zwischen bedingten und unbedingten Regeln unterscheiden.
Aus diesen beiden Gründen hat es unterschiedliche Moralvorstellungen
gegeben.
Moral ist normativ, vorschreibend, das ist für sie wesentlich. Wer
glaubt, die Moral analysiert zu haben und dabei das normative Element
einbüßt, der macht mit Sicherheit einen Fehler, weil das Ergebnis der
Analyse nichts mehr mit den analysierten Gegenstand zu tun hat. Es ist
Aufgabe des Ethikers dieses 'reine normative Element' zu destillieren
und möglichst rein zu Verfügung zu stellen."
Analytiker: "Es mag vielleicht sein, dass bei genauen Untersuchung der
Moral die Verbindlichkeit verloren geht, wie etwa eine Uhr, die man
auseinanderbaut um ihre Funktion zu verstehen, diese Funktion dadurch
verliert, aber dies bedeutet ja nicht, dass dabei ein Fehler gemacht
wurde.
Die Moral hat ihre Funktion im Funktionieren einer Gesellschaft, eine
Person auf einer einsamen Insel brauchte keine Moral (Einschub: Außer
gegen Gott).
Dadurch, dass die Menschen die Moral besser verstehen, haben sie die
Möglichkeit diese zu kontrollieren und vielleicht sogar zu verbessern.
Sie müssen ihr nicht mehr abergläubisch anhängen."
Ethiker: "Zur Erneuerung der Moral bedarf man aber wiederum einer
höheren Moral."
Ich glaube, damit habe ich den Widerspruch zwischen diesen beiden
Auffassungen so in etwa herausgearbeitet. Das Problem ist natürlich,
dass es zu so einem direkten "Zweikampf" nie kam und wahrscheinlich
die Autoren doch eher zusammengearbeitet haben oder sich sogar
ignorierten.
Die beiden Strömungen gibt es übrigens bis hinein in die heutige Zeit,
wobei es mehr oder weniger Abstufungen gibt.
Auf der einen Seite haben wir Kantisten, die die Ethik eines
kategorischen Imperatives fordern und auf der anderen Seiten haben wir
Autoren wie de Waal, die Ansätze von Moral schon in unserer
Primatenphylogenese finden.
Natürlich gab und gibt es auch Autoren, die jenseits dieser Einteilung stehen:
- Ich nehme an, dass die streng katholische Ethik sich von beiden
Ansätzen unterscheidet.
Generell dürften christliche oder noch allgemeiner religiös denkende
Autoren mit dieser Aufklärung eher weniger anfangen können.
- Eine Mitgefühlsethik, wie sie Schopenhauer vorschwebte und wohl auch
von einigen Feministen vertreten wird, steht jenseits dieser beiden
Sichtweise, zumindest in erster Instanz.
(Bei Schopenhauer war das Mitgefühl ja die Erinnerung daran, dass wir
ursprünglich mal eins waren, metaphysisch gesehen. Falls man dagegen
das Mitleid streng auf die Evolution von Primaten zurückführt, folgt
etwas anderes und eine Einteilung wird vielleicht möglich, wenn auch
künstlich.)
- De Sade habe ich nicht gelesen, ebenfalls andere Autoren aus der
"freidenkerischen Ecke".
- Alle "Tugendethik" steht im Verdacht, außerhalb zu stehen. Aber ich
müsste mehr lesen in dieser Thematik.
- Moralische Skeptiker (Nietzsche?) dürften ebenfalls nicht darunter fallen.
- Ethische Irrationalisten dürften ebenfalls nichr darunter fallen.
Also Leute, die deutlich wissen, was "richtig" ist und deshalb
Diskussionen gar nicht erst zulassen wollen, sondern auf Gefühle
abstellen.
|-> Dagegen sind die Utilitaristen klar der moralischen Aufklärung
zuzuschlagen. Sie erkennen (oder ließ: "Sie glauben ... zu erkennen")
das "wahre Prinzip" des Guten und wollen eine neue, "aufgeklärte"
Ethik auf dieser Basis errichten. Alle andere moralischen
Vorstellungen verwirft man als unaufgeklärt, als tendenziell von
Vorurteil und Aberglaube bestimmt. Deshalb sollte eine
fortschrittliche Gesellschaft darauf keine Rücksicht mehr nehmen.
|-> Marxisten sind Analytiker. Moral ist bei ihnen, eigentlich, ein
Überbau-Phänomen, dass der Entwicklung der Gesellschaft folgt.
|->Ethische Intuitionisten sind in einigen Fällen Ethiker im Sinne
dieser Einteilung. Sie haben eine wahre Quelle der Moral gefunden und
nutzen diese.
***
Was haltet ihr davon? Quatsch, Trivialität oder interessanter Gedanke?
Gruß
Rat Frag.
Technische Bemerkung: Natürlich habe ich mit meinem letzten Beitrag zum
Thema „Zwei Seiten der Aufklärung“ die Grenze des üblichen Textumfangs
von eMails zum Austausch über die philweb- Liste überschritten und mir
selbst als „listowner“ postwendend den Rüffel des List-Robots
eingehandelt. Prompt war der elend lange Text dann auch unleserlich
verschoben (warum auch immer, mea culpa!). Um Themenbereiche pro Beitrag
geschlossener und damit umfangreicher darstellen zu können, wäre
natürlich die bessere Lösung, philweb als Blog anzulegen (wie dies hier
ja schon vorgeschlagen wurde). Das allerdings würde seitens der
Auslegung und Betreuung des Listservers einen technisch komplett anderen
Ansatz und Aufwand bedeuten. Angesichts aber des üblichen Umfangs
unserer philweb-Aktivitäten würde sich dieser Aufwand sicher nicht
lohnen und überdies würde Philweb seinen spezifischen Charakter als
Mail-Liste verlieren, wie er sich mittlerweile weit über ein Jahrzehnt
erhalten hat. Wenn es denn (auch Schreiberlingen wie mir) gelingt,
Beiträge jeweils auf den technisch erforderlichen Umfang zu begrenzen,
sollten wir alle derzeit 75 Teilnehmer der Liste weiterhin Freude am
Austausch über die hier üblichen Themen haben. Blogs zu philosophischen
Themen gibt es zahlreich und zudem sehr gut geführte, dort kann man sich
ja „austoben“, sofern es dort nicht nur um die Standardfragen geht: „
Was ist der Sinn des Lebens; woher komme ich, wohin gehe ich“
Bester Gruß in die Runde!
Karl
PS: als Rückläufer habe ich meinen eigenen Beitrag (wüst zerfleddert)
derart unleserlich - auch nach der Aufteilung in zwei Hälften -
vorgefunden, dass ich noch einmal den Versuch unternehme, ihn
geschlossen und (zumindest technisch) lesbar zu übertragen. Den zuletzt
von mir gesendeten Text-Schrott (pures Ärgernis, diesen lesen zu
wollen!) bitte ich zu löschen.
... und hier Teil 2 (am besten das zerfletterte Zeug der ersten Sendungen gleich löschen)
Teil 2 zum Beitrag "Die zwei Seiten der Aufkärung"
In unserer Zeit geht es nicht mehr explizit um die Herrschaft der Gesetze sondern um die
Herrschaft von Menschen über Menschen mit den Mitteln moderner
Kommunikations-/Informationstechnik und den damit betriebenen Medien. Es besteht also
wiederum Herrschaft über Menschen, gleichsam als eine vierte Macht der Gewaltenteilung.
Als ein Instrument der Medienmachtwird gnadenlos im Sekundentakt das Unheil in aller Welt
gesucht und dem Menschen "vor die Füße geworfen" und dieses Unglück mal als
stereotypes Klischee drohender Weltuntergangs-Szenarien, mal im Sinne eines
"Weltrettungsethos" erklärt. Auf manipulative Weise, im geschickt boulevardesken Narrativ
(Storytelling) oder gewissenloser Desinformation werden neben Emotionen auch niedere
Instinkte wie Missgunst, Zynismus, Hass und Rassismus geweckt, werden damit auf beiden
Seiten der politischen Extreme Ressentiments geschürt und Feindbilder geschaffen. Wer
(grundsätzlich) informiert sein will (und sei es nur bis zu gewissem Grade), kommt mit
Nutzung moderner Medieninstrumente kaum noch umhin, diesem "News"- und
Gesinnungsterror zu begegnen, sei es durch herkömmliche Medien oder intermediäre
Werkzeugedes Internets (Facebook, YouTube, Twitter etc.).
Medienmacht (und mit ihr die Macht über Menschen) steht zunehmend für die subtile,
bisweilen perfide Art, die im Menschen naturgemäß angelegte Wissbegier und Neugier durch
instrumentelle Aktualisierung von Ereignissen zu bedienen. Gezielt werden solche Vorfälle
aufgegriffen, mit denen ein zu beförderndes Thema (meist politisch-ideologisierter
Provenienz) auf die Tagesordnung gesetzt werden kann, hingegen andere (den Lebensalltag
betreffend, durchaus bedeutsamere) Themen ausgesondert und bestenfalls zweitrangig auf
sie eingegangen wird. Diese Form von Machtausübung (dessen sich die Politik, sich des
machtpolitisch instrumentellen Charakters der Medien bewusst, bedenkenlos bedient)
verletzt das normative Ziel einer objektiven und unparteiischen Information der Bevölkerung.
Moderne IT-Medien sind also zur Instanz gesellschaftspolitischer Meinungsmanipulation und
zum Vehikel ungehemmter Verbreitung solcher Meinungsmache geworden. In dieser Weise
also ausgeübte (Gewalt-)Herrschaft als Informationstyrannei und Gesinnungsdiktat einer
politisch-ideologisierten Demagogie, gleich welcher Couleur. Die soziale Macht (in Summe
der Einzelnen) bricht die des Einzelnen, er wird hilflos treibendesOpfer im Strudel von
Propaganda und eines jeweils kollektiven Meinungsdiktats. Würde man die psychologischen,
soziologischen wie philosophischen Zusammenhänge nicht kennen, wollte man sich
emotionsgeladen kurzerhand jeglichem Protest dagegen anschließen.
Hinsichtlich dieser Schelte gilt aber auch:
"Man verachtet gern und vornehm Propaganda und übersieht, wovon sie lebt: von einer
Unterernährung an Wissen um die Vorgänge, zu denen man ja oder nein sagen muß"[...]
Gegen die Faulheit des kritiklosen Für-wahr-Haltens schützt nur der beste Satz der
Aufklärung, der Diderots letzter gewesen sein soll: 'Der erste Schritt zur Wahrheit ist der
Zweifel.'" (Marcuse)
So trifft auch zu, wie es Nathalie Sarraute (franz. Dichterin) ausdrückt:
"So widersinnig es auch klingen mag, der eigentlich Verantwortliche für die Wirkung einer
Information ist nicht der, welcher informiert, sondern derjenige, der informiert wird."
Unvermeidbar pendelt das Selbstverständnis des Menschen und die sich jeweils daraus
entwickelnde Gesellschaftsform zwischen den Polen von Subjekt und Objekt wie
gleichermaßen von Mythos und Aufklärung. Der Mensch treibt in jeglicher
Gesellschaftsverfassung sein Wesen und Unwesen zugleich; Dialektik des Lebens könnte
man es nennen. Aus dieser Dialektik heraus wird das Drama derWelt befördert: Kalter,
unbarmherziger Zweckrationalismus heute, der hergebrachte Denkmuster und
Gesellschaftsformen einebnet, gleichermaßen aufklärerisch zertrümmert, wie es seinerzeit
(allerdings unter gänzlich anderem Aspekt) dem "Alleszermalmer" Kant zugeschrieben
wurde. Doch auch er appelliert an den Einzelnen:
"Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der
Wahlspruch der Aufklärung. Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer
Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen
(naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es
anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig
zu sein. [...] Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? so
ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung."
(Kant,Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung)./
Dialektik der Aufklärung als zwei Seiten einer Münze. Diese Sicht lässt an das
begriffslogische Verhältnis von kritischem und aufklärenden Denken in Hegels dialektischer
Grundstruktur des "übergreifenden Allgemeinen" denken. Die Identität jeweils existierender
Gesellschaftsform ist umgrenzt vom Anderen, wobei das Andere als Mangel erkannt wird
("Es muss anders werden!"). Doch die Frage ist: Kann es anders werden?
Kant gibt eine Antwort: "Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von
persönlichem Despotismus und gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber
niemals wahre Reform der Denkungsart zustande kommen; sondern - neue Vorurteile
werden, ebensowohl als die alten, zum Leitbande des gedankenlosen großen Haufens
dienen." (Kant)
Dieses Zitat verdeutlicht, wie wenig sich die Wesenheit des Menschen im Allgemeinen
ändert (wenn überhaupt) und führt zum unabwendbaren Schluss, dass es für die Menschheit
kein (endgültig) aufgeklärtes Zeitalter geben kann. Was bleibt also von der Idee der
Aufklärung als Erkenntnis zur Bewältigung heutiger Lebens- und Weltkrisen?
Trotz ihrem bedrängenden Lamento vom "schlechten Bestehenden" hielten
Horkheimer/Adorno ein "anders werden" unter der Bedingung für möglich, durch Reflektion
auf das Verdrängte ("Nachdenken über Aufklärung") und Versöhnung mit der inneren und
äußeren Natur die Aufklärung schließlich zu vollenden. Das entspricht eher einer
psychoanalytisch-soziologischen Auslegung ihres rationalistisch verkürzten
Aufklärungsbegriffs. Das historische Phänomen einer weitestgehend gelungenen Aufklärung
mit ihren bedeutsamen philosophischen Elementen und gesellschaftlichen Veränderungen
wird von den Autoren nicht erschöpfend erfasst, was jedoch der spezifischen Gültigkeit und
Bedeutung von "Dialektik der Aufklärung"in Art einer radikalen Gesellschaftskritik keinen
Abbruch tut.
So bleibt die Einsicht um die Notwendigkeit beständigen Ringens eines jeden Einzelnen um
die Lebenskunst des "amor fati", bei der uns die Philosophie doch auch Handreichung geben
kann für "richtiges" Handeln: */"Facere docet philosophia, non dicere."/*
Die Vernunft der Moderne (ihren Ausgang nehmend im Logos der griechischen Philosophie)
führte zur Überwindung von Angst und Ohnmacht vor den Mächten einer unbändigen Natur
und damit zur Abkehr vom Mythos, als seinerseits erste Form und Instrument (Mimesis) im
Umgang mit diesen. Die mit der Aufklärung einher gegangene Entwicklung des sich selbst
bewusst werdenden, rationalen Individuums bewirkte jedoch die Verdrängung bzw.
Verleugnung der intrinsisch im Menschen angelegten Naturverhaftung und birgt damit das
latente Risiko zur gewaltsamen (letztlich unausweichlichen) Wiederkehr des Verdrängten.
Beständiger Wechsel an der Grenze zum jeweils Anderen. Im Zyklus dieser ewigen
Wiederkehr offenbart sich der "metaphysische Durst" des Menschen "nach dem `Ontischen`
und dem Statischen" (Eliade), denn in Wirklichkeit ist das den Menschen prägende
Vergangene immer schon da: in allen Formen gemeinschaftlichen Lebens, von der Wiege
bis zum Grab; wo immer wir auf`s Neue beginnen, ist niemals der Anfang. Ohne Herkunft
(als das Alte) ist Zukunft - als das Neue - gar nicht erkennbar, geschweige denn zu meistern.
Zuletzt bleibt aber doch die hoffnungsvolle Frage, ob und inwiefern dieser Kreislauf im Sinne
der Menschheitsentwicklung durchbrochen werden könnte.
Gibt Simmel die entscheidende Antwort? "Die endlose Wiederholung unseres Verhaltens
werde zum Kriterium, an dem uns dessen Wert oder Unwert zu Bewusstsein kommen solle"
Oder Nietzsche?: "Wir aber wollen Die werden, die wir sind, - die Neuen, die Einmaligen, die
Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selber-Schaffenden! Und dazu
müssen wir die besten Lerner und Entdecker alles Gesetzlichen und Nothwendigen in der
Welt werden: wir müssen Physiker sein, um, in jenem Sinne, Schöpfer sein zu können, -
während bis her alle Werthschätzungen und Ideale auf Unkenntniss der Physik oder im
Widerspruch mit ihr aufgebaut waren. Und darum: Hoch die Physik!"
Oder findet sich eine Antwort in Hesses Romanen. Pflichtlektüre jener
subkulturell-bohemehaften Hippiebewegung, erstanden hierzulande im Gefolge der 68er
politischen Fundamentalopposition und gesellschaftlichen Verweigerungshaltung der
Nachkriegsjahrzehnte, mit der Forderung nach Spontaneität und Selbstentfaltung, den Song
"Summer of Love" in den Herzen.
Ich habe Hesse auch mit Hingabe gelesen, die Hintergründe dieser Literatur mehr ahnend,
als verstehend. Selbstentfalten musste ich mich derzeit als Technikstudent auf andere (sehr
real nüchterne) Weise. Doch Hesses dialektische Gegenüberstellung von geistigem und
profanen Leben, von Sinnlichkeit und Ratio zog mich in seinen Bann.
Nichts abgewinnen konnte ich der brutalen Seite einer Auflehnung (in Art militant agitatorisch
geführter Sprache und Repression vs Andersdenkenden seitens SDS u.a.) gegen
Herrschaftsformen dieser Zeit; zudem der Auffassung, (Gesellschafts-)Politik zur
Glaubenssache erklären zu müssen, was meine Abneigung gegen die bis heute in diesen
Kreisen vorherrschende Gesinnungsethik erklärt.
Das lässt sich natürlich mit der Depersonalisierung eben der Herrschaft der Gesetze
erklären, die ein erhebliches Potential zur Verschiebung von Verantwortung in sich trägt, wie
es das politische System jener Ära perfektioniert hat und bis heute betreibt.
Dieser Aspekt führt nun wieder zu den Fragen von Ethik-Theorien, etwa dem Gegensatz von
Gesinnungs- und Verantwortungsethik (Max Weber), die es sicherlich hier zu diskutieren
lohnt.
Bester Gruß in die Runde!
Karl
PS: Meine Einlassung zum Thema: wiederum viel zu länglich! Zur Kürze fehlte die Zeit resp.
die Befähigung dazu (Das Hirn vertrocknet - bei dieser Hitze). Wer es lesen will, sollte das
gelegentlich in Muße tun, ggf. darauf antworten - ansonsten schlichtweg löschen
(schnapp - Beginn Teil 2)
In unserer Zeitgehtes nicht mehr explizit um die Herrschaft der Gesetze
sondern um die Herrschaft von Menschen über Menschen mit den Mitteln
moderner Kommunikations-/Informationstechnik und den damit betriebenen
Medien. Es bestehtalso wiederum Herrschaft über Menschen, gleichsam als
eine vierte Macht der Gewaltenteilung. Als ein Instrument der
Medienmachtwird gnadenlos im Sekundentakt das Unheil inaller Welt
gesucht und dem Menschen„vor die Füße geworfen“ und dieses Unglückmal
als als stereotypesKlischee drohenderWeltuntergangs-Szenarien, mal im
Sinne eines„Weltrettungsethos“ erklärt.
Auf manipulative Weise, im geschickt boulevardesken Narrativ
(Storytelling)oder gewissenloser Desinformation werden neben Emotionen
auch niedere Instinkte wie Missgunst, Zynismus, Hass und Rassismus
geweckt, werdendamit auf beiden Seiten der politischen Extreme
Ressentiments geschürt und Feindbilder geschaffen. Wer (grundsätzlich)
informiert sein will (und sei esnur bis zu gewissem Grade), kommt mit
Nutzung moderner Medieninstrumentekaum nochumhin, diesem „News“- und
Gesinnungsterror zu begegnen, sei esdurch herkömmliche Medien
oderintermediäre Werkzeugedes Internets (Facebook, YouTube, Twitter etc.).
Medienmacht (und mit ihr die Macht über Menschen) stehtzunehmendfür die
subtile, bisweilen perfide Art, die im Menschen naturgemäß angelegte
Wissbegier und Neugier durch instrumentelle Aktualisierung von
Ereignissen zu bedienen. Gezielt werden solcheVorfälleaufgegriffen, mit
denen ein zu beförderndes Thema (meist politisch-ideologisierter
Provenienz) auf die Tagesordnunggesetzt werden kann, hingegen andere
(den Lebensalltag betreffend, durchaus bedeutsamere) Themenausgesondert
und bestenfalls zweitrangigauf sie eingegangen wird.Diese Form von
Machtausübung (dessen sich die Politik, sich desmachtpolitisch
instrumentellen Charaktersder Medien bewusst, bedenkenlos bedient)
verletzt das normative Ziel einer objektiven und unparteiischen
Information der Bevölkerung.
Moderne IT-Medien sind also zur Instanz gesellschaftspolitischer
Meinungsmanipulation und zum Vehikel ungehemmter Verbreitung solcher
Meinungsmache geworden. In dieser Weisealso ausgeübte(Gewalt-)Herrschaft
als Informationstyranneiund Gesinnungsdiktat einer
politisch-ideologisierten Demagogie, gleich welcher Couleur.Die soziale
Macht (in Summe der Einzelnen)bricht die des Einzelnen, er wird hilflos
treibendesOpfer im Strudel von Propaganda und eines jeweils kollektiven
Meinungsdiktats.
Würde man die psychologischen, soziologischen wie philosophischen
Zusammenhänge nicht kennen, wollte man sich emotionsgeladen kurzerhand
jeglichem Protest dagegen anschließen.
Hinsichtlich dieserScheltegilt aber auch:
„/Man verachtet gern und vornehm Propaganda und übersieht, wovon sie
lebt: von einer Unterernährung an Wissen um die Vorgänge, zu denen man
ja oder nein sagen muß“/[...] /Gegen die Faulheit des kritiklosen
Für-wahr-Haltens schützt nur der beste Satz der Aufklärung, der Diderots
letzter gewesen sein soll: 'Der erste Schritt zur Wahrheit ist der
Zweifel.'“ (Marcuse)/
So trifft auchzu,wie esNathalie Sarraute (franz. Dichterin) ausdrückt:
„/So widersinnig es auch klingen mag, der eigentlich Verantwortliche für
die Wirkung einer Information ist nicht der, welcher informiert, sondern
derjenige, der informiert wird.“/
Unvermeidbarpendelt das Selbstverständnis des Menschen und die sich
jeweils daraus entwickelnde Gesellschaftsform zwischen den Polen von
Subjekt und Objekt wie gleichermaßenvon Mythos und Aufklärung. Der
Mensch treibt in jeglicher Gesellschaftsverfassung sein Wesen und
Unwesen zugleich; Dialektik des Lebens könnte man es nennen. Aus dieser
Dialektik heraus wirddas Drama derWelt befördert: Kalter,
unbarmherzigerZweckrationalismusheute, der hergebrachte Denkmuster und
Gesellschaftsformen einebnet, gleichermaßen aufklärerisch zertrümmert,
wie es seinerzeit (allerdings unter gänzlich anderem Aspekt) dem
„Alleszermalmer“ Kant zugeschriebenen wurde. Doch auch er appelliert an
den Einzelnen:
/"Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist
also der Wahlspruch der Aufklärung./
/Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der
Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei
gesprochen (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig
bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern
aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. […]/
/Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten
Zeitalter? so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der
Aufklärung .“ //(Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung)./
Dialektik der Aufklärung als zwei Seiten einer Münze. Diese Sicht lässt
an das begriffslogische Verhältnis von kritischem und aufklärendenDenken
in Hegels dialektischer Grundstruktur des „übergreifenden Allgemeinen“
denken. DieIdentität jeweilsexistierenderGesellschaftsform ist umgrenzt
vomAnderen, wobei das Andere als Mangel erkanntwird (/"Es muss anders
werden!")/. Doch die Frage ist: Kann es anders werden? Kant gibt eine
Antwort:
„/Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem
Despotismus und gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber
niemals wahre Reform der Denkungsart zustande kommen; sondern //neue
Vorurteile werden, ebensowohl als die alten, zum Leitbande des
gedankenlosen großen Haufens dienen.“ (Kant)/
Dieses Zitat verdeutlicht, wie wenig sich die Wesenheit des Menschen im
Allgemeinen ändert (wenn überhaupt) und führt zum unabwendbaren Schluss,
dass es für die Menschheit kein (endgültig) aufgeklärtes Zeitalter geben
kann. Was bleibt also von der Idee der Aufklärung als Erkenntnis zur
Bewältigung heutiger Lebens- und Weltkrisen?
Trotz ihrem bedrängenden Lamento vom „schlechten Bestehenden“
hieltenHorkheimer/Adorno ein „anders werden“ unter derBedingung für
möglich, durch Reflektionauf das Verdrängte („/Nachdenken über
Aufklärung“)/und Versöhnung mit der inneren und äußeren Natur die
Aufklärung schließlich zu vollenden. Das entsprichtehereiner
psychoanalytisch-soziologischen Auslegungihresrationalistisch verkürzten
Aufklärungsbegriffs. Das historische Phänomen einer weitestgehend
gelungenen Aufklärung mit ihren bedeutsamenphilosophischen Elementen und
gesellschaftlichen Veränderungenwirdvon den Autoren nicht
erschöpfenderfasst, was jedoch der spezifischen Gültigkeit und Bedeutung
von „Dialektik der Aufklärung“in Art einer radikalen Gesellschaftskritik
keinen Abbruch tut.
Sobleibtdie Einsicht um die Notwendigkeit beständigenRingens
einesjedenEinzelnen um die Lebenskunst des „amor fati“, bei der uns die
Philosophie doch auch Handreichung geben kann für „richtiges“ Handeln:
*/"Facere docet philosophia, non dicere."/*
Die Vernunft der Moderne (ihren Ausgang nehmend imLogos der griechischen
Philosophie) führtezurÜberwindung von Angst und Ohnmacht vor den
Mächteneiner unbändigenNatur und damitzur Abkehr vom Mythos, als
seinerseits erste Form und Instrument (Mimesis)im Umgang mit diesen. Die
mit der Aufklärung einher gegangene Entwicklung des sich selbst bewusst
werdenden, rationalen Individuums bewirkte jedoch die Verdrängung bzw.
Verleugnung der intrinsisch im Menschen angelegten Naturverhaftung und
birgtdamit das latenteRisiko zur gewaltsamen (letztlich
unausweichlichen) Wiederkehr des Verdrängten.BeständigerWechsel an
derGrenze zum jeweils Anderen. Im Zyklus dieserewigen Wiederkehr
offenbart sich der„/metaphysische Durst“ des Menschen „nach dem
‚Ontischen‘ und dem Statischen“ (Eliade), /denn in Wirklichkeit ist das
den Menschen prägende Vergangene immer schon da: in allen Formen
gemeinschaftlichenLebens, von der Wiege bis zum Grab; wo wir immer auf‘s
Neue beginnen, ist niemals der Anfang. Ohne Herkunft - das Alte - , ist
Zukunft - als das Neue - gar nicht erkennbar, geschweige denn zu
meistern. Zuletzt bleibt aber dochdie hoffnungsvolle Frage, ob und
inwiefern dieser Kreislauf im Sinne der Menschheitsentwicklung
durchbrochen werden könnte.
Gibt Simmel die entscheidende Antwort? „/Die endlose Wiederholung
unseres Verhaltens werde zum Kriterium, an dem uns dessen Wert oder
Unwert zu Bewusstsein kommen solle“/
Oder Nietzsche?: /"Wir aber wollen Die werden, die wir sind, - die
Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die
Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selber-Schaffenden! Und dazu müssen
wir die besten Lerner und Entdecker alles Gesetzlichen und Nothwendigen
in der Welt werden: wir müssen Physiker sein, um, in jenem Sinne,
Schöpfer sein zu können, - während bis her alle Werthschätzungen und
Ideale auf Unkenntniss der Physik oder im Widerspruch mit ihr aufgebaut
waren. Und darum: Hoch die Physik!"/
Oder findet sich eine Antwort in Hesses Romanen. Pflichtlektüre jener
subkulturell-bohemehaften Hippiebewegung, erstanden hierzulande im
Gefolge der 68er politischen Fundamentalopposition und
gesellschaftlichen Verweigerungshaltung derNachkriegsjahrzehnte, mit der
Forderung nach Spontaneität und Selbstentfaltung, den Song „Summer of
Love“ in den Herzen.
Ich habe Hesse auch mit Hingabe gelesen, die Hintergründe dieser
Literatur mehr ahnend, als verstehend. Selbstentfalten musste ich mich
derzeit als Technikstudent auf andere (sehr real nüchterne) Weise. Doch
Hesses dialektische Gegenüberstellung von geistigem und profanen Leben,
von Sinnlichkeit und Ratio zog mich in seinen Bann.
Nichts abgewinnen konnte ich der brutalen Seite einer Auflehnung (in Art
militant agitatorischgeführter Sprache und Repression vs Andersdenkender
seitens SDS u.a.) gegen Herrschaftsformen dieser Zeit; zudem der
Auffassung, (Gesellschafts-)Politik zurGlaubenssache erklären zu müssen,
was meine Abneigung gegen die bis heutein diesen Kreisen vorherrschende
Gesinnungsethik erklärt.Das lässt sich natürlich mit der
Depersonalisierung eben der Herrschaft der Gesetze erklären, die ein
erhebliches Potential zur Verschiebung von Verantwortung in sich trägt,
wie es das politische System jener Ära perfektioniert hat und bis heute
betreibt.
Dieser Aspekt führt nun wieder zu den Fragen von Ethik-Theorien, etwa
dem Gegensatz von Gesinnungs- und Verantwortungsethik (Max Weber), die
es sicherlich hier zu diskutieren lohnt.
Bester Gruß in die Runde!
Karl
PS: Meine Einlassung zum Thema: wiederum viel zu länglich! Zur Kürze
fehlte die Zeit resp. die Befähigung dazu (Das Hirn vertrocknet - bei
dieser Hitze). Wer es lesen will, sollte das gelegentlich in Muße tun,
ggf. darauf antworten - ansonsten schlichtweg löschen
Mein Beitrag war auch dem Philweb-Robot zu lang und er hat es
zerflettert, man kann das Zeugs nicht lesen. So teile ich's kurzerhand auf.
Hier also der erste Teil:
Am 29.07.2018 um 13:18 schrieb Rat Frag:
> Am 24. Juli 2018 um 03:47 schrieb K. Janssen:
>> Unter Moral wird demnach ein Normensystem verstanden, welches auf
>> vernunftbasiertes, „richtiges“ Handeln mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit
>> abzielt. Unterschiedliche Normensysteme bedingen verschiedene Moralen, die
>> wissenschaftlich in Teildisziplinen der Ethik (deskriptiv, normativ) als
>> übergeordnete Ebene, vornehmlich in der Moralphilosophie, wie auch u.a. in
>> der Soziologie und Theologie behandelt werden.
> Ich habe hier "Ethik" als eine Art "Moral aus Moralphilosophie"
> betrachtet und "Moral" eben als die Sitten der Gesellschaft, wie sie
> mehr oder weniger bestehen.
>
>> Moral nun in Bezug nehmen für eine kategorisch wertende Typisierung
>> „amoralischer vs moralischer Aufklärer“ könnte insofern verfänglich sein, da
>> unter „amoralisch“ in unserem Sprachgebrauch zuvorderst ein der Sittlichkeit
>> widersprechendes Verhalten angenommen wird.
> Ich habe ja bewusst noch zwei andere Ausdrücke dafür erfunden:
> "Deskriptive Analytiker" vs. "Ethiker"
Oh, diesen Zusammenhang habe ich bedauerlicherweise nicht herausgelesen!
Zudem habe ich - dem Thema des Betrags „zwei Seiten der Aufklärung“
geschuldet - auch eher einen Bezug auf Aufklärung und weniger auf Moral
(um die es offenbar RF vornehmlich, im Ggs. zu mir gelegen ist)
angenommen. Wie auch immer. Aufklärung, als solche eng mit Moral in
Verbindung stehend, wie eben letztere sind bedeutende Themen, deren
Behandlung hier lohnend ist.
Das Thema „Die zwei Seiten der Aufklärung“ lässt (zumindest mich)
unverzüglich an „Dialektik der Aufklärung“ von Horkheimer-Adorno denken.
Als ich das Buch vor Jahrzehnten erstmals las, hat es mich ähnlich in
den Bann gezogen wie beispielsweise die Romane von Hesse. Insoweit auch
Dialektik angesichts dieser beiden sich (scheinbar) entgegenstehenden
Ausrichtungen von Weltsicht:
Einerseits die Kritikander Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts;an
jener Art vonAufklärung, die ein gewisses Scheitern von Beginn anim
Diktum der „instrumentellen Vernunft“ in sich angelegt hatte,demzufolge
sich ein dem purenNutzen verschriebenes Verhältnis vonKultur zur Natur
entwickelte. Im Spannungsfeld zwischen zunehmender Naturbeherrschung
(„/Natur als ein bloßes Werkzeug des Menschen“ und „Objekt totaler
Ausbeutung“//)/und damit einhergehenderMenschenbeherrschung entwickeln
sichbis heute dieFesselnder aufgeklärten Moderne: „/eine satanische
Synthese von Vernunft und Natur [...] das genaue Gegenteil jener
Versöhnung der beiden Pole, von der Philosophie stets geträumt hat“/.
Ein bedeutsamer Grundstein zur Erneuerung der deutschen
PhilosophieEinstellung, wurde von dem RechtsphilosophenChristian
Thomasius gelegt, der als ein richtungsweisenderGestalter der frühen
deutschen Aufklärung zu sehenist.Sein Wirken stehtbeispielhaft für die
Dialektik einer Aufklärung, die mit seinem Kampf für dieFreiheit des
Denkens, Abkehr vom starren Korsett der Scholastik, mit seinem
Hinwendung zupraktischemNutzen als Erkenntnis- und Gelehrsamkeitsideal
aber auch den Anstoß zur Einflussnahmedesbritischen (wie auch
französischen)Empirismus und Psychologismus gab, wie er nachfolgend u.a.
von J.N. Tetens aufgegriffen wurde:„/Das Licht der Vernunft“/sollte die
Welt erhellen unter Absage an jede Art von Metaphysik und unter
Preisgabeplatonisch-aristotelischerIdeale eines „mundus intelligibilis“.
Steuerung bzw. Eindämmung menschlichen Trieb- und Affektlebens, sowie
eine zwanghafte Nutzbarmachung von Gesellschaft und Natur im Sinne von
Sensualismus und Utilitarismus (Hobbes, Locke, Hume u.a.). Der Zauber
der Welt, mythenhaft zuBeginn der Entwicklungsgeschichte noch im Denken
der Menschenverankert, musste– abseits von Decartes‘s cogito - dem
instrumentellen Vernunftsdiktat der Aufklärung weichen. Hatte der
Animismus die Dingebeseelt, versachlichtedie Zweckrationalität des
einsetzenden Materialismusdie Seelen (und tötetsie bis
heute).VerdinglichunglebendigerNatur wird (als getöteteNatur, wie diese
allen Ortes zu sehen ist )zum Paradigma instrumentell rationalisierter
Realität.
Thomasius‘ großartige Beiträge zur Aufklärungsepoche der Neuzeit sind
jedoch seinerfolgreicherEinsatzfür dieEinführung der deutschenSprache
und fürmehr lebenspraktischesDenken andenUniversitäten, um letztlich
damit Bildung auch weiterenSchichten der Bevölkerung zugänglich zu
machen, sowieseine rechtsphilosophischen Arbeiten zur klaren
Unterscheidung von Recht und Moral, wo er (als Philosoph)seine
„Vernunftlehre“ und (als Jurist) seinRechtsverständnis trennte von
scholastischerPedanterie, von kirchlicher Dogmatik und kruden
Moralvorstellungen, vor allem aber seineAgitationgegen Exorzismus,
Hexenverfolgung und Folter, was schließlichzur Abschaffung
vonHexenprozessenund Folter führte.
Mit seinem Postulat der Prinzipien des Naturrechts (Fundamentum iuris
naturae et gentium)legte er die Basisheutigen Strafrechtsdenkens und hat
sich mit seiner (dritten) Regel für das Gerechte, das Iustum: /"Was du
dir nicht wilt gethan wissen / das thue du andern auch nicht." /im
gesellschaftlichen (Moral-) Bewusstsein „verewigt“.
Beeindruckend sein Mut, machte er sich doch zum Todfeind der damals
Herrschenden, vornehmlich derklerikalen Clique, mit seinem
kompromisslosen Kampf gegen die „/Heuchel-Moral der Rechtgläubigen“/.
Sein Eintreten für die Freiheit, sein Auflehnengegen den fürstlichen
Polizeistaat und die verstaubte Scholastik des Universitätsbetriebs.
Leider ist seine historische Relevanz, sein bedeutender Beitrag für die
Aufklärung in den Schatten der großen Werke (Lehrsysteme) von Kant,
Leibniz u.a. geraten und wird bis heute in der wissenschaftlichen
Betrachtung dieser Epoche zu wenig gewürdigt. Thomasiuswar pragmatischer
Denker und Wegbereiterfür einen Paradigmenwechsel in der
Rechtsphilosophieseiner Zeit.Übrigens gilt er mit seinerHerausgabe der
"Monats-Gespräche" als Begründerdes Journalismus in Deutschland. Er war
definitiv ein verkörperter Glücksfallder Aufklärung!
Aufbauend auf dieErrungenschaft der ebenso von Wolff und Edelmann
nachhaltig beförderten frühenPhase der Aufklärungwurde diese zunächst
von Haman, Herder und vor allem Jacobi („/Wendepunkt der geistigen
Bildung der Zeit“,/wie es Hegelanerkennend nannte) weiter voran
gebracht.Aufklärung, die sich wieder demErbe der
platonisch-aristotelischen Ethik verpflichtet sah, wurde vor allem mit
Kant sowie den Denkern des deutschen Idealismus fortgeführt. Europa hat
sich schließlich von seinen absolutistischen Herrschern, dem vorgeblich
gottgegebenen Herrschaftsanspruch von Klerus und Fürstentum emanzipiert.
Die progressive Idee der Aufklärung,traditionelle Herrschaft von
Personen in eine Herrschaft der Gesetze zu wandeln, verfehltejedoch ihre
hehreAbsicht, insoweitsie neueFesseln anlegte, nämlich Gesetze der
bürgerlichen Gesellschaft mit Herrschaftsanspruch.
Diesesmalum der Aufklärung ist tief in die Gesellschaftsschichten
eingedrungen und zeigt sichbis in unsere Zeitin der
verhängnisvollenzweckrationalen Perfektionierung der Natur- und
Menschenbeherrschung mitfatalen Auswirkungen /(/„/Der Mensch teilt im
Prozeß//seiner Emanzipation das Schicksal seiner übrigen Welt“)/:
Versklavung des Menschen durch weltweit (teils subtil angewandte)
inhumane Herrschafts- und Unterdrückungsmethoden.
Wo der Geltungsanspruch der Aufklärung sich selbstzerstörerisch in sein
Gegenteil verkehrt hat, also selber zum Macht-System der Herrschaft von
Menschen über Menschen sowie der Naturbeherrschungwurde, hat sich diese
Umkehr beispielhaftim Mythos vonFaschismus und Bolschewismus wie
aktuellauch imenthemmtenKapitalismus auf tragischeWeise verwirklicht.
Insoweit Aufklärung als Urheber für die Systemkonformität der heutigen
Industriegesellschaft mittels zweckrationaler Menschen-und
Naturbeherrschung gesehen werden muss, ist sie für deren Auswüchse
verantwortlich zu machen: Irrational extensive Techniknutzung,
Massenproduktion und damit gnadenlose Ausbeutung von Ressourcen,
Kulturindustrie (Eventhype), Medienherrschaftdurch oktroyierte
Meinungsbildung, gestützt auf die Scheinmoral einer unsäglichen
Gesinnungsethik und so fort. Emanzipation scheitert dortan der
DialektikdesFortschritts unsereraufgeklärten Moderne, wo die daran
geknüpfte Repression ihres ethischen Anspruchs das Verhältnis von
instrumentalisierter Gesellschaft und individueller Freiheit bestimmt.
Das gesellschaftliche System der Aufklärung in Ausprägung seiner
instrumentellen Rationalität hat sich bis in den privatesten Bereich
eingefressen. Der Mensch wird dem System angepasst, wie gleichermaßen er
sich selbst anpasst und verleugnet, sich seinem innewohnenden Wesen
entfremdet. Unter dem Diktat extensiv wirtschaftlichen Wachstums,
basierend auf Manipulation einer Konsum-, Medien- und
Unterhaltungsgesellschaft, wo nur noch kalte Zweckrationalität ohne
Rücksicht auf Humanität vorherrscht und man dabei das Credo des
Wohlstands (vormals „keine Experimente“ - heute „Weiter-So“) predigt,
wird der Mensch seiner Identität, seiner kreativen Individualität
beraubt. Die fatalen Folgen sind Anonymisierung und Vereinsamung des
Einzelnen in der Gesellschaft („einsam in der Masse“). Kein einzelnes
Leben in diesem System kann noch richtig sein: „/Es gibt kein richtiges
Leben im falschen“ (Adorno)./
Nicht verwunderlich, dass die (studentische) Jugend der Sechziger Jahre,
insbesondere angeregt von Horkheimer-Adorno, Lukács (als Vaterfiguren
für die sog. „Vaterlose Generation“), die Defizite dieses
Herrschaftssystems erkannte und begann, sich gegen diese abwegige
Gesellschaftsentwicklung aufzulehnen, die es (um jeden Preis) zu ändern
galt, um /"aus der Kritik der alten Welt die neue [zu] finden"/, wie
Marx es formulierte.
Doch diese Auflehnung richtete sich zunächst überwiegend gegen
spezifisch familiäre Sozialisationsbedingungen der Nachkriegszeit, insb.
auch gegen den Funktionalismus der Kirchen (u.a. strikte protestantische
Ethik) und deren Forderung von Triebverzicht und Affektkontrolle;
zunehmend dann im (teils gewaltsamen) Protest gegen neue
Hochschulgesetze, gegen den Vietnamkrieg, die Notstandsgesetze und gegen
diverse Diktaturen, so auch das Schah-Regime.
„Dialektik der Aufklärung“ ist also nicht irgendein Werk (als solches
auch nicht von seinen Autoren, insb. Horkheimer intendiert, sondern als
phil. Fragmente angelegt; wenngleich eher den Sozialwissenschaften
zuzuordnen). Diese Schrift hat die Epoche der Nachkriegszeit
intellektuell geprägt. Rhetorisch gekonnt, in meist kurzen
schlagwortartigen Sätzen (ganz im Gegensatz etwa zu Kants ellenlangen
Schachtelsätzen) inszenierten Horkheimer/Adorno drastisch, nahezu
theatralisch die aus der Aufklärung resultierende Verkehrung in eine,
eben durch diese überwunden geglaubten Fesseln der Natur und des
Feudalismus, erneute Gefangennahme der oben beschriebenen Art. In ihrer
Auseinandersetzung mit der Frage, warum Aufklärung per se auch ein
totalitäres Element in sich birgt, also die Beherrschung und
Systematisierung von Natur und Gesellschaft betreibt, gewissermaßen das
mit sich bringt, wogegen sie ursprünglich angetreten ist, geben sie die
bekannt drastische Antwort:
„/Seit je hat Aufklärung im umfassendste//n//Sinn fortschreitenden
Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie
als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im
Zeichen triumphalen Unheils.“/
Darauf auch Bezug nehmend organisierte sich eben jene Bewegung, die sich
ihrerseits als Mythos der 68er-Generation bis heute im
Gesellschaftsbewusstsein verankert hat. Inwieweit die Torheit
maoistischer K-Gruppen die kollektive Übersprungsfunktion war für eine
irrationale Fundamentalopposition /(„schafft alles ab!) /oder gar den
mörderischen Irrsinn der terroristischen Rote Armee Fraktion befördert
hat, wird in unzähligem Schriftgut kontrovers behandelt. Die lebhafte
Erinnerung an diese historische Epoche naiv utopischer Träume von
Weltveränderung und Lebensglück bleibt jenen erhalten, die diese Zeit
als verstörend oder aufregend erlebt haben, gleich ob als Befürworter
oder Gegner, gleich ob als Student oder im Beruf Stehender.
Das agitatorische Diktum in Horkheimer-Adornos Wortwahl, wie auch
seinerzeit Dutschkes aufpeitschende Sprache mag heute befremden, doch
sie diskriminierte klar und entschieden im Gegensatz zu jenen
intellektuellen Schichten, die sich, im Geist oder als Erben jener
Epoche verstehend, zu einer neuen veritablen Kulturrevolution (queer und
quer durch die westliche Welt ziehend) verpflichtet fühlen. Es ist die
Saat, dieheute wieder aufkeimtals Ideologie, mit einerdarauf
basierendenGesinnungsethik, die sich bisweilen als Gesinnungsterror im
Kontext übertriebener „political-correctness“ ausnimmt. Dabei
widersprechen sie sogar demDogma ihrerVorkämpfer gegen bürgerliche
Zwänge, dem Glaubenssatz vom„herrschaftsfreien Dialog“.
Kritikastisch missgestimmt, verbreitendieseProtagonist*innen von
„political-correctness“dasDiktat vomKorrekten im Namen einer höheren
Moral und Empfindsamkeit und bedienen sich einer politisch korrekten
Jammer- und Diskriminierungsrhetorik. Siefordern „dasKorrekte“
(Umweltschutz, Gender, das Anti-Sexismus, Anti-Rassismus usf. ) in
Gesetze zu gießen, derweilen sie ihre verqueren Ansichtenkompromisslos
mit Mitteln des sozialen Drucks („shitstorm“ etc.) und öffentlich
gemachter Beschämung durchsetzen. Das bringt Thomasius' oben
beschriebene Bloßstellung und Auflehnung gegen die „/Heuchel-Moral der
Rechtgläubigen“/zur Frage, ob heutige „Rechtgläubige“ nicht die neuen
janusköpfigen Pfaffen sind. Der Aufstand gegen diese wird aber
bedauerlicherweise nicht mehr durch weise, scharfsinnige Intellektuelle
wie u.a. Thomasius geführt, sondern (welch unbeugsames Prinzip der
Dialektik!)durch dumpfe Geister solcher Gesinnung, die Ängste und
Indiosynkrasien in der Bevölkerung zu wecken und zu instrumentalisieren
verstehen. Ängste und Bedenken, diesich zu allen Zeiten als Folge von
jeweils drastischen Umbrüchenin der gesellschaftlichen
Menschheitsentwicklung (aktuell besonders durch weltpolitisch bedingte
und infolge ökonomischer Globalisierung massiv einsetzende
Migrationsbewegungen)eingestellt haben. Das gleisnerische
Herunterblicken auf eben diese Menschen von den „neuen Kanzeln“ des
irrealgenderisierten, politisch korrekten Universitätsbetriebs, das
gleichermaßen hetzerische Agitieren aus den Redaktionsstuben und
Fernsehstudios gegen das Pack und den Pöbel führt geradewegs zur
(ungewollten) Gegenreaktion der sog. schweigenden Mehrheit: In meist
kleinem Kreis und am Biertisch hört man dasverdruckste "Das wird man
doch wohl noch sagen dürfen" und am Wahltag könnte man sie (mit
Röntgenaugen) sehen, wo sieverstohlenen ein Kreuz an der Position
zeichnen, die man auf den Wahlzetteln bislangvergeblich suchte. Viel
dramatischer aber führt diese den (sog. einfachen) Bürger
herabwürdigende Art(natürlich neben anderen Ursachen) auf fatale Weise
zuraugenblicklichen Gesellschaftskrise, nämlich zugesellschaftlicher
Polarisierung und Beförderung politischerExtreme. Ich bleibe dabei: Man
kann sich (solchermaßen gut situiert, dameist staatlich alimentiert oder
dem Elysium der Künstlerszene zugehörig),leicht ein buntes Tüchlein,
Kettchen um den Hals hängen und das Lied der Verlorenen dieser Welt
singen; die Moral dahinter wirkt auf michfadenscheinig, Scheinmoral eben.
Alter Wein in neuen Schläuchen. Horkheimer-Adorno zitieren de Sade:
„/Was kümmert den Reichen die Vorstellung eines Zügels, den er niemals
an sich selbst verspürt […] /„/Ihr werdet keinen in jener Klasse finden,
der nicht erlaubte, daß man den dichtesten Schatten der Tyrannei auf ihn
lege, solange sie in Wirklichkeit auf den anderen liegt.«/
„Ausgerechnet de Sade, dieser Lüstling!“, ist man versucht zu sagen.
Doch stehen er, wie ebenso von H./A. oft zitierter Nietzsche, für
dasschonungslose, alle Normen brechende Offenlegungder seinerzeit (wie
eigentlich zu allen Zeiten)vorherrschenden Doppelmoral und Scheinheiligkeit.
Beide Genannten auf ihre sehr unterschiedliche Art und Weise,doch beide
mit kritischem, scharfen Verstand, mit außerordentlichemSprachvermögen
und Mut; Eigenschaften, die man in oben besagten Kreisen scheinheilig
und dümmlich lamentierender Zeitgenossen nicht vorfindet .
Die Dialektik des Fortschritts liegt immer in der Überschreitung von
Grenzen und dem Bewahren-Wollen des Erreichten. Das unausweichliche
Wechselspiel fortlaufenderDifferenzierung und Integration ist nur in
deren hinreichender Ausgewogenheit erträglich. Eine endlos
ausdifferenzierte und sich ausdifferenzierende Welt, mit hemmungsloser
Massenproduktion kultureller Symbole und deren Verbreitung über
Massenmedien beraubt die Gesellschaft jeglicher Gewissheiten. Und so
führen auch die Differenzierungsorgien obengenannter,
ideologisierterIntellektuellen-Cliquen (als die Statthalter einer
postmodernenDominanzhierarchie) zu nichts anderem als Dissoziation und
innerem Protest einerGesellschaft, die ihre Gewissheiten, ihre
Vertrautheiten und damit ihren Halt verloren hat.
Soweitzum Thema Moral, weitab vom blutleeren Disput postmoderner
Sophisten, welcher Kategorie denn Doppelmoral zugehörig sei.
Die Kenntnis einfachster Naturgesetzlichkeit reicht aus, um zu wissen,
dass jeglicheKraft eine Gegenkraft verursacht, philosophisch eben der
Inbegriff von Dialektik.
(-schnipp- Ende Teil 1)
Von Rousseau und Moore verstehe ich leider wenig bis nichts.
Ich bin nicht der Meinung (wo es um Meinungen geht, geht es nicht um Philosophie), daß die Menschen alle lieb und nett sind, wenn sie nicht durch äußere Einflüsse verdorben werden. Regierungen, Erziehungskonzepte etc. sind ja nicht vom Himmel gefallen. Die Natur als Idyll, ich weiß nicht...Wir können auch nicht zurück zur Natur, selbst wenn wir wollten, weil wir keine reinen Naturwesen mehr sind, ebenso wenig wie wir reine Kulturwesen sind.
Andererseits gibt es natürlich auch Leute, die alles unternehmen, um die Welt in die Hölle zu verwandeln, für die sie sie halten und dann zufrieden sagen: siehst du, wie recht ich hatte?
Ich meinte nur, daß wir einander ähnlich genug sind, um einander halbwegs zu verstehen, oder andersrum: ohne einen gewissen Gleichklang wäre eine Verständigung gar nicht möglich, die ja offensichtlich meist möglich ist. Das gilt sowohl für Sinneserfahrungen wie auch für die Frage, was Regierungen mit Menschen anstellen dürfen. Wobei bei letzterem doch mehr Kultur oder Unkultur ins Spiel kommt. Wenn jemand alle Brücken hinter sich abgebrochen und jede menschliche Regung in sich ausradiert hat, kann es sein, daß eine Verständigung nicht mehr möglich ist.
Zu Moore kann ich leider nichts sagen.
Claus
null
Vielleicht als Ergänzung zu den beiden von dir dargestellten Standpunkten noch ein dritter, der sich in einem Satz ausdrücken könnte, den ich mal bei dem (mir im großen und ganzen unverständlichen) Kierkegaard aufgeschnappt habe: "Die Wahrheit lässt sich nicht in Sätzen lehren."Vielleich ist das ähnlich wie bei Farben: man kann erst darüber reden, wenn man sie schon kennt. Das, was man schon kennen muss, wären, auf Pflichten und Werturteile übertragen, sicher nicht Gesetzestexte. Ein "Gefühl für Anstand" kann in diese oder jene Bahnen gelenkt werden - im Gegensatz zur Farbwahrnehmung - aber wenn es nicht da ist, kann es nicht gelehrt werden und wir haben es nur mit konditionierten Reflexen zu tun.
Claus
null
Du hast dich da ja wirklich in ein Labyrinth getraut, in dem ich mich auch nicht auskenne und dir sind ein paar treffende Formulierungen gelungen, finde ich. Klasse!
Claus
null
Zur Mail von Rat Frag vom 29. April 11:50 Uhr, zwecks besserer Lesbarkeit 2 Leerzeilen eingefügt und Vorspann weggelassen:
> Eine dritte Möglichkeit wäre, daß eine Frage nach Gründen fehl am Platz
> sein könnte. - CZ
>
*Das würde aber zur Folge haben, dass zwei Kulturen mit einander
*entgegengesetzten Wertvorstellungen sich nicht einigen könnten. Schon rein
*abstrakt nicht.
*Beispielsweise die Denker der Antike billigten offenbar häufig die
*Sklaverei usw. Heute lehnen wir das ab. - RF
Es kann vorkommen, dass man sich nicht einigen kann. Mit Blinden kann man nicht über Farben diskutieren. Aber so verschieden sind die Menschen im allgemeinen nicht gestrickt. Natürlich kommen dann noch Erziehung, staatliche Indoktrination und sonstige Verunstaltungen hinzu. (Das ist jetzt ein bisschen einseitig und überspitzt formuliert.)
> So auch "Das ist gerecht."? - CZ
>
*Natürlich kann man das in Frage stellen, wieso nicht? - RF
Wenn ich jemandem erklären sollte, was man unter "gerecht" versteht und das mit einem (Verhaltens-)beispiel täte, fändest du die Frage "warum nennt man das so?" also angebracht? Wenn ich auf ein solches Beispiel verzichten und das Wort rein verbal erklären würde und die dabei verwandten Ausdrücke ebenfalls rein verbal erklären würden bis hin zu einem Axiom - würde es sich um ein Zeichenspiel ohne Bezug zum Leben handeln.
Claus
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null