„Die Welt ist das, was der Fall ist“, jedoch nicht in
ihrer Gegenständlichkeit an sich, sondern deren Interaktionen, Wechselwirkungen also (sic!
Dein Credo, Waldemar)
Lieber Karl, lieber Waldemar,
gestützt auf die obige Aussage, dass Interaktionen das dynamische kleinste Element
kohärenter Mengenbildung (der Bildung von jeweiligen Zusammenhängen alias „Welten“) sind,
habe ich ein anderes Bild entwickelt. Hier ist das, was zur Kohärenz im Gleichzeitigen und
in der Abfolge sorgt ein prospektiv unterstelltes, retrospektiv festgestelltes Vermögen,
ein Grund, aus dem die jeweilige Dynamik sich in der Interaktion mit anderen, gleichfalls
be-gründeten Dynamiken entfaltet. Dieser Grund ist keine „Kugel“, sondern eine Schale, wie
ein Hohlspiegel, aus dem konzentrisch Strahlen entstehen, die auf eine
Verwirklichungsachse konvergieren. Nebeneinanderliegende Schalen können si ausgerichtet
werden, dass sie ihrerseits au eine gemeinsame Achse konvergieren, womit reale
Zusammenhänge erstellt werden.
Dieses Bild der Schalen-Ensembles kann man weiter denken:
Verschiedene „Schichten“ (in Entwicklungspsychologie z.B. core self, emergent self, etc.
nach Daniel Stern, in Gesellschaft „Gesellschaftsschichten“), sind real
nebeneinanderliegende Schalen. Wenn sie harmonisch ausgerichtet sind, sind sie wie eine
große Schale gebeugt, wie eine steel drum. Tatsächlich sind aber einige eben, andere
weg-orientiert, und der Zusammenklang ist nicht automatisch als Voreinstellung gewährt.
Die Schalen sind nicht ineinander-gestaffelt. Diese Bild würde eine Abfolge-Festlegung
beinhalten, eine Hierarchie hin zum „Innersten“, die nicht einfach vorausgesetzt werden
kann. Das Arrangement kann sich je nach kontaktiertem Aspekt völlig ändern, eher trifft
das Bild je neu geformter, nicht disjunkter Mengen.
Das herkömmliche Bild einer punktförmig-binnenkohärenten Person mit nur einer oder
garkeiner Ansichtigkeit wird aufgegeben. Wie für Alles, was kohäriert, handelt es sich
auch bei Personen um Schalenensembles hinter einer Mehrzahl von Aspekten. Das gilt für
vormals zu Objekten verzichtete, homogenisierten Pseudopunkte als ihrem gegenüber genauso,
und eben auch für personale gegenüber.
Einleibung besteht darin, dass eigene Schalen eingerichtet werden.
Auch Moleküle haben viele Oberflächen, die jeweilige Aspekte liefern. Jeder Aspekt
triggert eine Schale im Gegenüber. Auch sie sind daher Schalenensembles, die zu
Interaktionen angeregt und sich auf diese Aspekt-spezifischen Interaktionen einlassen
können.
Ein benannter, fixierter Ort ist ein herausgelöster Zustand, der getrennt von der
Dynamik-spendenden Dynamic-Coherence-Providing potentia betrachtet wird. Empirisch ist das
Mitbedenken des Seitens und hier, aber nur, wenn eine sequentielle Kontinuität vorliegt as
Bild einer Welle. Auch sie ist zu isoliert gesehen, denn real sind nur Interaktionen in
wechselseitigem Einvernehmen und danach erfolgender gemeinsamer Ausrichtung der Schalen.
Ist die übereinstimmende Richtung eine, dann ergibt sich eine Einrichtung als ein eines,
zusammengehendes, sich vereinigt habendes Innen. Interieur, interior Design….
Ein resultierendes „Innen" wird Anlass-gemäß und Aspekt-spezifisch als
Schalenensemble gebildet. Es ist nicht von vornherein gegeben, und die Homogenität des
Innen erstellt sich nicht von selbst, und schon garnicht aus bloßem räumlichen
Positionierts-Sein.
Es ist das jeweils neu gruppierte Innen eine übergreifende Kohärenz stiftender
Interaktionen, als konvergierend ausgerichteter Schalenensembles.
Könnt Ihr mit diesen, vorhin geschwind aufgeschriebenen Überlegungen und Bildern etwas
anfangen?
Beste Grüße in die Runde,
Thomas
Am 06.10.2024 um 02:24 schrieb Karl Janssen über
PhilWeb <philweb(a)lists.philo.at>at>:
Einsamen Läufern in der Wüste gleichen wir beide, Waldemar, hier in philweb. Dabei denke
ich an Nietzsche: „Der Wanderer und sein Schatten“:
Der Schatten: Da ich dich so lange nicht reden hörte, so möchte ich dir eine Gelegenheit
geben.
Der Wanderer: Es redet: – wo? und wer? Fast ist es mir, als hörte ich mich selber reden,
nur mit noch schwächerer Stimme als die meine ist.
Der Schatten (nach einer Weile): Freut es dich nicht, Gelegenheit zum Reden zu haben?
Der Wanderer: Bei Gott und allen Dingen, an die ich nicht glaube, mein Schatten redet;
ich höre es, aber glaube es nicht.
Sollten wir beide - auf diese Aphorismen bezogen - in Ermangelung weiterer Teilnehmenden
hier, dem Ort einstig lebhafter Diskussionen und heftiger Diskurse, diese nur noch
zwischen uns und mit unseren Schatten stattfinden lassen?
Solchermaßen immerhin zu viert, wandern wir dann gedanklich durch diese Lebenswelt,
wollen diese Gedanken austauschen und bemerken dabei, dass wir eigentlich schon über alles
Denkbare gesprochen haben, zumindest über das von uns subjektiv Gedachte.
Und über das Undenkbare, wie steht es damit - kann man darüber überhaupt sprechen? Es
müsste doch gelten: Was nicht gedacht werden kann, darüber kann man nicht sprechen, woraus
gemäß Wittgensteins Tractatus folgen müsste: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss
man schweigen“. Erklärt sich damit das Schweigen in diesem Forum?
Die Welt besteht aus Tatsachen, sagt Wittgenstein und deren Gesamtheit bildet die
Wirklichkeit, nicht aber die Wahrheit. „Die Welt ist das, was der Fall ist“, jedoch nicht
in ihrer Gegenständlichkeit an sich, sondern deren Interaktionen, Wechselwirkungen also
(sic! Dein Credo, Waldemar). Für Dich sind es materielle Wechselwirkungen, für mich kommen
jene hinzu, die nicht unmittelbar messbar, somit nicht fassbar, allenfalls denkbar und
ggf. (er)spürbar sind.
„Die Gesamtheit der bestehenden, wie auch der nicht bestehenden Sachverhalte, der
positiven und negativen Tatsachen, bilden die Wirklichkeit“, sagt Wittgenstein. Was
anderes als nicht fassbare, messbare Sachverhalte kann er meinen, wenn er von nicht
bestehenden spricht?
Metaphorisch entspräche das Bild eines Eisblocks im Ozean, der mit seinem sichtbaren Teil
die Wirklichkeit zusammen mit dem nicht sichtbaren die Wahrheit darstellt, der Ganzheit
dieser Lebenswelt. Ein bildhaftes Gedankenkonstrukt als logisches Modell von Wirklichkeit
und Wahrheit dieser Welt.
„Die Menschen machen sich Bilder der Tatsachen. Diese Bilder sind Modelle der
Wirklichkeit, in denen Gegenstände von Elementen (Variablen) vertreten werden. Die
Elemente im Bild verhalten sich logisch genauso zueinander wie die Gegenstände in der
Wirklichkeit. Bild und Wirklichkeit haben also dieselbe logische Form.“ (Wittgenstein).
Soweit zur Wirklichkeit und wie steht es mit der Wahrheit, wenn Menschen sich lediglich
Bilder von der Realität ihrer Lebenswelt machen? Gemäss Wittgenstein sind Bilder wahr,
wenn sie mit der Wirklichkeit übereinstimmen, andernfalls sind sie schlichtweg falsch. Ein
Bild an sich sagt nichts über ein Wahr oder ein Falsch aus, das ist erst durch Vergleich
mit der Wirklichkeit möglich. Somit existiert ein Zusammenhang von Wirklichkeit und
Wahrheit.
Wir haben hier im Forum oft über Wahrheit und dementsprechende Theorien diskutiert, doch
haben wir dabei die Wahrheit entdeckt? Mitnichten, verbirgt sich diese doch - wie oben
bereits metaphorisch geschildert - wie ein im Ozean liegender Eisberg, dessen sichtbare
Spitze man als Wahrheit wähnt und doch nur Realität zeigt.
So bleibt die Suche nach Wahrheit ein immer wiederkehrendes Ansinnen, etwa im Sinne der
Frage nach den wahren Gründen der Existenz dieser Lebenswelt inmitten der unergründlichen
Weiten (allein) dieses Universums.
Wie kommt es dazu, dass sich in dessen habitablen Zonen Lebewesen herangebildet haben,
die im Verlauf ihrer Ontogenese das Vermögen entwickelt haben, sich selbst als
intelligente Wesen zu erkennen und als solche kraft außerordentlicher Denkleistungen
befähigt sind, ihre Lebenswelt bis ins Kleinste zu ergründen und darüber hinaus den sie
bergenden Kosmos in seinen elementaren Strukturen zu erkennen?
Es sind diesbezüglich fundamentale Fragen, die offenbar Menschen dazu bewogen haben, sich
in eine Mail-Liste einzutragen, die sich mit an Philosophie orientierter, wie
gleichermaßen interdisziplinärer Thematik beschäftigt?
Eben die Suche nach Wahrheit, womöglich auch im Wissen, dass diese per se nicht zu
ergründen ist, vielleicht auch nur im Ansinnen, der Wahrheit ein Stück näher zu kommen und
hoffentlich nicht in Vermessenheit, sie bereits entdeckt zu haben?
Das lässt an Berthold Brechts Dialog zwischen Galilei und Sagredo denken:
GALILEI. Willst Du aufhören, wie ein Stockfisch dazustehen, wenn die Wahrheit entdeckt
ist?
SAGREDO. Ich stehe nicht wie ein Stockfisch, sondern ich zittere, es könnte die Wahrheit
sein.
GALILEI. Was?
SAGREDO. Hast du allen Verstand verloren? Weißt du wirklich nicht mehr, in was für eine
Sache du kommst, wenn das wahr ist, was du da siehst? Und du es auf allen Märkten
herumschreist: daß die Erde ein Stern ist und nicht der Mittelpunkt des Universums? […]
Daß da nur also Gestirne sind! – Und wo ist dann Gott?
GALILEI. Was meinst du damit?
SAGREDO. Gott! Wo ist Gott?
Über Gott wollten wir beide nicht mehr reden, es sei denn mit Bezug auf mein Zitat: „God
is a Feeling“. Hingegen über „Gott und die Welt“ sehr wohl und wir beide sicher auch mit
weiteren der siebzig hier in diese Liste Eingetragenen.
Bester Gruß an Dich und in die Runde!
Karl
PS: Kürzlich ist ein lieber Bekannter zu Tode gestürzt und ich fragte WARUM dieses um
Gottes Willen geschehen musste und obendrein diesem herzensguten Menschen zukommend als
Familienvater im besten Alter.
Wir alle hier fragen insbesondere derzeit WARUM das Elend dieser Kriege? Auch hier spielt
ein Gott die Hauptrolle, ausgedacht von Menschen, welch schauderhaftes Theater!
„Wir alle spielen Theater“ (Ervin Goffman)
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